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Internationales Bildungs- und Begegnungswerk in Dortmund

„Arbeit als europäische Freiwillige? Das können wir nur jedem empfehlen!“

„Arbeit als europäische Freiwillige? Das können wir nur jedem empfehlen!“

„Koffer packen“ heißt die nächste große Aufgabe für Iryna Bober, 29, aus Shitomir in der Ukraine und Cristina Canales Dominguez, 23, aus Cordoba in Spanien: Ihr Jahr beim IBB Dortmund im Rahmen des Europäischen Freiwilligendienstes  endet in diesen Tagen. Kurz war es, sagen die beiden Uni-Absolventinnen, die in ihrer Heimat Politikwissenschaften (Iryna) und Philosophie (Cristina) studiert haben. Täglich haben sie tatkräftig im Büro mitgearbeitet an den Europäischen Aktionswochen „Für eine Zukunft nach Tschernobyl und Fukushima“, Konferenzen organisiert, Termine vereinbart, Dokumente übersetzt, Visumsanträge  vorbereitet und Flüge gebucht. Stressig war es manchmal. An den freien Wochenenden haben sie Dortmund und die Welt erkundet. Im Interview haben sie erzählt, was sie in diesem Jahr gelernt haben und was von diesem Jahr bleibt.

Frage: Erinnert Ihr Euch noch an Eure ersten Tage in Dortmund?

Cristina: Der erste Schritt ist immer schwer. Ich war so verloren am ersten Tag! Die Sprache! Die PC-Programme! Alles war anders. Ich kam ja gleich von der Uni. Das erste deutsche Wort, das ich lernen musste, war: Drucken!

Iryna: Die Sprache war für mich nicht so das Problem. Hier beim IBB Dortmund wartete eine interessante Aufgabe auf uns und viel Arbeit. Ich glaube, wir haben intensivere Einblicke gewonnen als andere Freiwillige, die wir im Rahmen des EVS (European Voluntary Service) ja auch getroffen haben. Wir konnten richtig mitarbeiten im Team.

Frage: Ihr habt intensiv mitgewirkt an der Organisation der Europäischen Aktionswochen „Für eine Zukunft nach Tschernobyl und Fukushima“. Hat sich Euer Blick auf die beiden Reaktorkatastrophen verändert?

Cristina: Also, ich habe mich auch schon vor meinem Freiwilligen-Jahr mit den Folgen von Tschernobyl beschäftigt, weil ich mich in der Tschernobyl-Kinderhilfe in Spanien engagiere. Aber die Begegnungen mit den Liquidatoren und auch mit Frau Kamanaka aus Japan, die wir im März einen Tag lang begleitet haben, hat für mich jetzt erst das Bild vervollständigt. Wir müssen daraus lernen. Es muss sich dringend etwas ändern und wir müssen an diesem Thema weiterarbeiten.

Iryna: In meiner Heimatstadt Shitomir, etwa 200 Kilometer von Tschernobyl entfernt, ist die Reaktorkatastrophe schon ein Thema – sei es im Schulunterricht, sei es an den Jahrestagen, an denen an das Unglück erinnert wird. Und doch war es auch für mich doch auch sehr interessant, die Liquidatoren zu treffen und zu erfahren, was für weitreichende Konsequenzen die Katastrophe für jeden einzelnen Menschen hat. Und es ist schon eigentümlich: Einige Zeit bevor ich überhaupt an diesen Freiwilligendienst dachte, war ich zu einer Exkursion in der Sperrzone.

Frage: Was wird für Euch persönlich bleiben von der Mitarbeit an diesem Projekt?

Iryna: Wir müssen aus den Katastrophen lernen und die Weichen für die Zukunft stellen! Wir haben im Rahmen der Europäischen Aktionswochen ja sehr interessante Beispiele gesehen, wie die Energiewende in Deutschland funktioniert. Ich war auch sehr überrascht, dass es in Spanien schon viele Photovoltaik-Anlagen gibt. Das sieht in der Ukraine noch ganz anders aus. Die Energiewende in der Ukraine wird vermutlich nicht so schnell gehen, einfach weil das Geld fehlt. Aber wir können das in Angriff nehmen! Daran würde ich gern mitarbeiten.

Cristina: Ich habe ja auch einige Biografien übersetzt und mich mit den Schicksalen von Betroffenen beschäftigt und ich war schockiert, wie folgenschwer die Konsequenzen sind. Wir müssen daraus lernen. Ich möchte auch gern weiterarbeiten an diesem Thema und meine Eindrücke weitergeben.

Frage:  Wenn Ihr heute zurückschaut: Was bleibt von diesem Jahr?

Cristina: Ich wusste gar nicht, dass ich glücklich bin. Ich meine, wir können reisen und uns frei bewegen in Europa. Aber das war für mich ja bisher ganz normal. Ich habe gar nicht weiter darüber nachgedacht. In den vergangenen Monaten habe ich dann gemerkt: Wenn die Liquidatoren aus Osteuropa nur einen Tag länger in Westeuropa bleiben möchten, ist das nahezu unmöglich, weil sie ein Visum brauchen. Ich fühle mich heute mehr als Europäer und schätze das sehr. Heute weiß ich: Ich komme aus einem „lucky country“.

Iryna: Das ganze Jahr war eine tolle Erfahrung, die mich auf eine neue Stufe gebracht hat: Wie werden Abläufe gut organisiert? Wie läuft das Business? Was bedeutet deutsche Pünktlichkeit? (Auch, wenn die Bahn fast niemals pünktlich ist.) Also: Ich habe mich regelrecht verliebt in dieses Land. Ich fühle mich hier wie Zuhause.

Frage: Gab es auch etwas, was Euch nicht so gut gefallen hat?

Cristina (lacht): Gerade zu Beginn, als ich ankam, habe ich gedacht: Oh nein. Es regnet fast den ganzen Tag. Kein Wunder , dass die Menschen in Deutschland den ganzen Tag arbeiten! Das ist für so einen Sonnenmenschen wie mich nicht so schön. Und leider haben wir eigentlich keine jungen Leute aus Deutschland kennengelernt. In Spanien sind die Menschen sehr offen. Das ist hier anders. Vielleicht liegt das aber auch daran, dass die Uni in Dortmund etwas außerhalb liegt. Wir haben eher Kontakte geknüpft zu Leuten mit spanischen und italienischen Wurzeln.

Iryna: Nein, nein, es gibt kein schlechtes Wetter, nur die falsche Kleidung.  Und dafür hatten wir vom IBB ein Ticket bekommen, mit dem wir ganz Nordrhein-Westfalen erkunden konnten: Wir haben Düsseldorf, Köln, Essen, Münster, Duisburg und Hagen erkundet, sind bis nach Aachen gereist und brauchten nichts zuzahlen! Das war sehr interessant. Außerdem sind wir nach Dresden und München gereist und wir haben im Rahmen der Konferenzen auch Brüssel und Berlin besucht.

Frage: Würdet Ihr anderen ein Europäisches Freiwilligenjahr empfehlen?

Cristina: Auf jeden Fall! Das ist sehr empfehlenswert. Die Zeit ist für uns viel zu schnell vergangen!

Iryna: Man lernt ungeheuer viel über die Kultur, Traditionen, über das Alltagsleben und man lernt doch auch noch viel über die Sprache dazu. Toll war es, dass Cristina und ich zusammen gewohnt haben und alles zusammen machen konnten. Wir sind regelrecht Zwillinge geworden. Es ist wirklich schwer für mich mir vorzustellen, dass wir schon bald so weit voneinander entfernt sind.

Frage: Was habt Ihr als nächstes vor?

Iryna: Ich würde gern in Deutschland bleiben und weiter in einer internationalen Organisation arbeiten, aber das ist für mich als Ukrainerin rechtlich leider gar nicht so einfach. Ich schreibe zurzeit Bewerbungen.

Cristina: Hier in Deutschland sind die Chancen für junge Menschen auf jeden Fall besser als in Spanien, wo es wenig Jobs gibt und die wenigen Jobs auch noch schlecht bezahlt sind. Ich könnte mir auch vorstellen, in Deutschland zu bleiben, aber vermutlich werde ich nach Granada gehen und studieren.

Vielen Dank für das Gespräch!