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Internationales Bildungs- und Begegnungswerk in Dortmund

16. Jugendgipfel im Rahmen des Weimarer Dreiecks widmet sich intensiv dem Thema „Flucht und Vertreibung – damals und heute“

16. Jugendgipfel im Rahmen des Weimarer Dreiecks widmet sich intensiv dem Thema „Flucht und Vertreibung – damals und heute“
Die Teilnehmenden vor der Staatskanzlei. Foto: R. Teller

Die Teilnehmenden vor der Staatskanzlei. Foto: R. Teller

Eine weitere Einladung nach Düsseldorf ist den 15 deutschen Teilnehmerinnen und Teilnehmern am 16. Jugendgipfel im Rahmen des Weimarer Dreiecks gewiss: Europastaatssekretär Dr. Marc Jan Eumann möchte den Dialog mit den engagierten Jugendlichen fortsetzen und sie an der Themenfindung für den nächsten 17. Jugendgipfel beteiligen.

Mit profundem Hintergrundwissen und persönlichen Erfahrungen hatten die insgesamt 45 Jugendlichen aus Hauts de France, Schlesien und Nordrhein-Westfalen am Freitag, 19. August 2016, in Düsseldorf mit Politikern aus den drei Regionen über die Situation der Flüchtlinge diskutiert. Überzeugung der Jugendlichen: Europa muss mehr tun! Es steht in der Verantwortung, den Flüchtenden zu helfen.

Flüchtlinge, das sind für die 45 Teilnehmerinnen und Teilnehmer am 16. Jugendgipfel im Rahmen des Regionalen Weimarer Dreiecks nicht länger anonyme Fremde: jugendgipfel 16_In unserer Mitte_ProjektbesuchFlüchtlinge, das sind Menschen wie der 21-jährige Mahelet* aus Eritrea, der in seiner Heimat in den Krieg geschickt werden sollte und auf der Flucht Wasser mit Autoöl mischte, um seinen Durst zu unterdrücken oder wie der Bundeswehr-Dolmetscher Taufik *, 38, aus Afghanistan, der immer an sein Zuhause denken muss, aus dem er aus Angst vor den Taliban flüchten musste, oder Maria*, 85, deren Flucht aus Schlesien nach Deutschland infolge des Zweiten Weltkriegs drei beschwerliche Jahre lang dauerte und noch Jahre später von hartnäckigen Ressentiments begleitet und belastet wurde. Was die drei und viele weitere zur Flucht bewegte, was sie tun, um ihre Sorgen um vermisste und verstorbene Angehörige wenigstens zeitweise zu verdrängen und warum sie das Warten bis zur Asylentscheidung so zermürbt – all das erfuhren die 17- bis 23-Jährigen bei gemeinsamen Aktionen und Begegnungen in Wuppertal und Dortmund.

jugendgipfel_serge parasieFünf Tage lang, vom 15. bis 19. August 2016, stand beim 16. Jugendgipfel das Thema „Flucht und Vertreibung – damals und heute“ im Mittelpunkt. Die Woche begann mit Vorträgen von Serge Palasie (Eine Welt Netz NRW e.V.), Dr. Marcel Berlinghoff (Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien Osnabrück) und Alexandra Limousin (L’Auberge des Migrants, Calais). Sie gaben Anstöße zur Betrachtung der aktuellen Zuwanderung vor dem geschichtlichen Hintergrund auch im Vergleich mit jüdischen Flüchtlingen in der Nazizeit, erläuterten die entwicklungspolitischen Zusammenhänge und schilderten die Situation im „Dschungel von Calais“, wo 8.000 bis 10.000 Flüchtlinge auf eine Zukunft in Westeuropa hoffen.

Am zweiten Tag schlüpften die Jugendlichen in Wuppertal in die Rolle von „Angels for a day“: In der Kleiderkammer des Caritasverbandes Wuppertal-Solingen, beim interkulturellen Fußballcamp Bola Brasil des CVJM Wuppertal und bei der Hilfsorganisation „In unserer Mitte“ trafen sie auf Zugewanderte und engagierte Helfer – knüpften Kontakte und legten auch gleich Hand an, sortierten Kleidungsstücke und versorgten die kleinen Kicker aus vielen Nationen. In der Wuppertaler Färberei, einem Kommunikationszentrum, hatte das Hilfsprojekt „In unserer Mitte“ unter Leitung von Helge Lindh nach dem Vorbild eines Speed-Datings Kontakte zu etwa 40 syrischen Familien ermöglicht. Ein orientalisches Buffet, zubereitet durch die Familien, und die intensiven Gespräche sorgten dafür, dass der sehr private Austausch an den kleinen runden Tischen über viele Stunden andauerte. Lehrerinnen und Rechtsanwälte, aber auch allein reisende Jugendliche erzählten, wie der Krieg ihre persönlichen Zukunftspläne von einem Tag auf den anderen zerstört hatte. Sie berichteten, wie sie ringen um die Anerkennung ihrer erworbenen Qualifikationen und bangen um die Zukunft ihrer Kinder. „Sehr bewegend war die Begegnung mit Gleichaltrigen“, erzählt Hildegard Azimi-Boedecker, Leiterin des Fachbereichs Beruf international und Migration im IBB. Gerade der Kontakt zu jungen Menschen fehle ihnen sehr, äußerten die jungen Gesprächspartner.

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer am Jugendgipfel stimmten die Begegnungen sehr nachdenklich. „Sie äußerten am Ende ihre große Bewunderung für die enorme Kraft und Energie, die die Flüchtlinge aufbringen, um über weite Strecken zu Fuß nach Europa zu kommen, die fremde Sprache zu lernen und sich in der für sie recht fremden Welt ein neues Leben aufzubauen“, berichtete Hildegard Azimi-Boedecker.

Auslandsgesellschaft_zeitzeugen_weimarer dreieck 16Am dritten Tag ging es nach Dortmund: In der Auslandsgesellschaft, Intercultural Academy, Nordrhein-Westfalen trafen die Jugendlichen ältere Vertriebene aus dem heutigen Polen, die die Stiftung Gerhart-Hauptmann-Haus Düsseldorf vermittelt hatte, und junge Flüchtlinge aus Eritrea, Syrien und Afghanistan. Ganz still wurden die Jugendlichen, so dass man eine Stecknadel hätte fallen hören. Viele weinten, als die Geflüchteten auch unter Tränen ihre Geschichten berichteten. Große Migrationsbewegungen gab es in der Geschichte schon viele, erfuhren die Jugendlichen, sei es durch die Verfolgung durch die Nationalsozialisten, sei es durch Bürgerkriege. Die Ursachen seien in der Regel von Menschen gemacht.

Am Nachmittag gestalteten die Jugendlichen dann das fröhliche Sommerfest der Frenzelschule, einer Flüchtlingseinrichtung der Diakonie Dortmund. Kinderaktionen, Basketballturniere und deutsch- syrisch-kurdische Gemeinschaftstänze brachten die meist jungen Menschen ganz zwanglos einander näher. Eine Tarte du sucre, ein Kartoffelsalat und polnische Piroggen ergänzten am Ende das Barbecue um französische, deutsche und polnische Spezialitäten.

jugendgipfel 16_arbeit im PlenumAm Donnerstag hatten die Jugendlichen Zeit, ihre Eindrücke zu sammeln und zu sortieren, bevor es am Freitag zum Abschluss der eindrucksvollen Woche nach Düsseldorf ging. In der Staatskanzlei traf die Gruppe auf Europastaatssekretär Dr. Marc Jan Eumann, Krystyna Jasinska, Abgeordnete des Sejmiks der Wojewodschaft Schlesien und Vorsitzende des Ausschusses für Internationales, sowie Hakim Elazouzi, Abgeordneter im Regionalrat von Hauts de France und stellvertretender Bürgermeister der Stadt Bethune.

Gut vorbereitet stellten die Jugendlichen Fragen, die die Politiker aufmerksam zuhören ließen: Könnte ein Flugverbot über Syrien möglicherweise die Fluchtursachen bekämpfen? Steht nicht ganz Europa in der Verantwortung? Sieht Polen seine Aufnahmekapazitäten schon deshalb erschöpft, weil bereits viele ukrainische Arbeitskräfte einpendeln? Nach der ausführlichen Diskussion verlasen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer noch ihre erarbeiteten Vorschläge und Forderungen zur Umsetzung auf regionaler, nationaler und internationaler Ebene.

Staatssekretär Dr. Eumann bestätigte den Eindruck der Jugendlichen: „Was wir derzeit mit der Zuwanderung von Flüchtlingen erleben, hat es in der Geschichte Europas im Zusammenhang mit Krieg und Vertreibung immer wieder gegeben, vor allem auch in Deutschland, Polen und Frankreich. Die Erfahrung zeigt, dass ihre Integration eine große Aufgabe für die gesamte Gesellschaft war und ist.“

Viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer am Jugendgipfel wollen nun auch nach ihrer Heimreise etwas tun für die Zuwandernden. Hildegard Azimi-Boedecker: „Viele haben gesehen, dass oft schon kleine Gesten und Aktionen große Wirkung zeigen können. Die Ideen der Jugendlichen gehen deshalb vom Einstieg in politisches Engagement bis zur Überlegung, als Freiwillige im Dschungel von Calais mitzuhelfen. “

Weitere Informationen über den Jugendgipfel:

Pressemitteilung der NRW-Landesregierung