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Internationales Bildungs- und Begegnungswerk in Dortmund

Das IBB trauert um eine langjährige Mitstreiterin und Freundin: Maja Krapina starb im Alter von 82 Jahren

Im 82. Lebensjahr ist ein großer Mensch von uns gegangen – Maja Isaakowna Krapina. Noch vor einiger Zeit nahm sie an Veranstaltungen der Geschichtswerkstatt „Leonid Lewin“ Minsk aktiv teil, war immer bereit, den Jugendlichen über die Geschichte des Minsker Ghettos zu erzählen – eine traurige Wahrheit am Beispiel ihres eigenen Schicksals. Damit alle diese Geschichte in Erinnerung behalten, damit sich die Tragödie nie mehr wiederholt… .

Wir werden sie sehr vermissen, diese starke, energische Frau, die den anderen ein Beispiel gab, wie man die die Geschichte des Verbrechens unter dem Namen Holocaust nicht vergessen darf….

Aus den Erinnerungen von Alessja Belanowitsch, die mit Maja in den letzten Jahren zusammengearbeitet hat:

„Das Vorwort zu ihrem Buch „Die dreifach Wiedergeborene. Erinnerungen einer ehemaligen Gefangenen des Minsker Ghettos“ begann Maja Krapina so: „Vor Ihnen liegt mein Buch „Die dreifach Wiedergeborene“. Das sind meine Erinnerungen an das Erlebte. Ich denke, es wäre richtiger, wenn ich dieses Buch eine Beichte genannt hätte. Mein ganzes bewusstes Leben trug ich mit mir meinen Schmerz und meine Erinnerung. Ich habe vieles ertragen müssen und mein schweres Schicksal ist voll von tragischen Geschehnissen und menschlichem Glück. Was überwog? Zeitlich überwog das einfache menschliche Glück, aber das im Krieg Erlebte hinterließ in meiner Seele eine tiefe Spur. Sie ist meine Wunde, die nie ausheilen wird. Sie verheilt allmählich, dann wird sie plötzlich wieder aufgerissen und erinnert mich mit aller Kraft wieder an sich selbst, und schmerzt, schmerzt, schmerzt…“

Maja Krapina. Eine kleine, zierliche Frau mit üppigem Haar, zu einem Ballettstrahl ordentlich gebündelt, strenger, aber freundlicher Blick kleiner, durchdringender schwarzer Augen durch die Brille. Immer gut gelaunt, leicht und beweglich, und nebenan fast immer ihre Freundin und Mitstreiterin in Sachen gesellschaftliches Engagement Frida Reisman. Unermüdlich erzählt sie ihre schmerzliche Geschichte über den Verlust ihrer Eltern im Minsker Ghetto, über die Rettung im Dorf Paretscha, über das Glück in der Ehe mit Igor Krapin, ihrem Mann und Partner in den akrobatischen Übungen, über den Verlust ihrer Tochter und über gute und mitfühlende Enkelkinder.

Maja lernte ich kennen, als ich für die Geschichtswerkstatt in Minsk zu arbeiten begonnen hatte. Maja sorgte dafür, dass die Belarussen, die während des Krieges Juden retteten, den Status Gerechte unter den Völkern bekommen. Sie schrieb Briefe an Yad Vashem und lud die Gerechten, gerettete Juden und die Jugendlichen zu Gesprächen im sogenannten „Warmen Haus“ ein. Wir bereiteten gemeinsam Veranstaltungen in der Geschichtswerkstatt vor. Aber unsere nähere Bekanntschaft erfolgte in der Zeit, als ich nach Berlin übersiedelte und das Glück hatte, Maja während ihrer Treffen mit den deutschen Schülern zu begleiten.

Januar 2014, Berlin: am 27. Januar wohnt eine Gruppe von Zeitzeugen aus Belarus auf Einladung des deutschen Bundestages dessen Festsitzung bei, die dem Tag der Befreiung der Auschwitz-Gefangenen und dem Gedenktag der NS-Opfer gewidmet ist. Maja hört aufmerksam den Rednern zu. Neben ihr sitzt Frida Reisman….

Berlin ist vom Schnee verweht. Maja hat einen Nerzmantel an, ihr üppiges Haar zu einem Schwänzchen zusammengebunden. Sie ist energisch, macht jeden Morgen Gymnastik, am Tag gibt es zwei oder drei Treffen mit den Schülern. Maja schläft in der Nacht nicht, sie erinnert sich an den Krieg und die ermordeten Verwandten. Aber sie gesteht es erst am letzten Tag, als eine ganze Woche intensiver Treffen vorbei ist, wo sie immer wieder die Geschichte ihrer Rettung erzählt. Wir schaffen es, eine kleine Reportage mitzuschreiben. Frage: Was gibt Ihnen Kraft, diese schmerzhafte Geschichte ihres Lebens immer wieder zu erzählen?

Maja: „Die Kinder hörten mir so aufmerksam zu, als ich zu ihnen zum ersten Mal gekommen war, Tränen standen in ihren Augen. Dann kam ich nach Minsk zurück und sagte, warum bekommen  belarussische Kinder das alles nicht zu hören? Wir haben in unserem Programm nichts über die Gefangenen, nicht nur über die aus dem Ghetto, sondern auch über die aus den Konzentrationslagern, oder über die Ostarbeiter. Warum haben wir so was hier nicht? Wahrscheinlich denken unsere Schüler, dass es so etwas gar nicht gegeben hat. Immer, wenn ich eigeladen werde, meine Geschichte zu berichten, fällt es mir schwer, aber ich stimme immer zu. Ich möchte, dass die Jugend alles weiß…“

Ein freier Tag in Berlin vor der Abfahrt. Ich frage Maja, ob sie irgendwelche Wünsche hat. Sie antwortet:“ Nur noch einen Wunsch habe ich. Ich habe einen alten Bekannten, mit dem ich mal zusammen auf Gastspielen war. Er war ein talentierter Musiker, Zimbelspieler. Wollen wir ihn mal besuchen! Für dich wird es auch von Interesse sein, er war nämlich auch im Minsker Ghetto. Mikalaj Schmelkin begrüßte uns in seiner kleinen Wohnung neben dem ehemaligen Flughafen Tempelhof mit Portwein und Bienenstich-Kuchen. Maja und Mikalaj haben einander seit den 90er Jahren nicht mehr gesehen. Viele Erinnerungen. Seine Geschichte der Flucht aus dem Ghetto erzählte Mikalaj nie und niemandem, es fällt ihm schwer, sich daran zu erinnern. Maja bat Mikalaj, einem Treffen mit mir für ein Interview zuzustimmen. So hatte ich dank Maja Glück, Mikalaj Schmelkin kennenzulernen und seine Geschichte der Rettung aus dem Ghetto für die Geschichtswerkstatt aufzuschreiben.

November 2016, Hamburg: ich begleitete Maja zum Abschluss eines Wochenprogramms anlässlich der Eröffnung der Ausstellung über den Vernichtungsort Malyj Trostenez. Maja, sehr müde, aber gut gelaunt, führt fürsorgliche Telefongespräche mit ihrem Mann. Sie erzählt mir, dass sie ihrem Mann Hacksteaks für eine ganze Woche zubereitet hat, und fügt hinzu, diese Reise sei wahrscheinlich ihre letzte Reise nach Deutschland. Wir fahren zusammen nach Berlin. Maja übernachtet bei uns. Morgen fliegt ihre Maschine nach Minsk. Maja fliegt zusammen mit Astrid Sahm. Wir lachen sehr viel. Maja bekam neue Freunde aus dem Kreis der Mitarbeiter und Freiwilligen der KZ-Gedenkstätte Neuengamme.

Dezember 2017, Lübeck: dank der Ausstellung „Vernichtungsort Malyj Trostenez. Geschichte und Erinnerung“ fand man Serafima Strawizkaja-Beilin. Zusammen mit ihrer Schwester gelang ihr die Flucht aus dem Minsker Ghetto. Sie fand ihre Rettung im Dorf Paretscha. Nach dem Krieg übersiedelte sie nach Tula und 1990 emigrierte sie nach Deutschland. Einige Male besuchte sie Paretscha, jedoch war jegliche Verbindung zu Minsk abgebrochen. Über Maja wusste sie aus den Zeitungsartikeln über die Errichtung eines Denkmals für die Gerechten unter den Völkern in Paretscha. Auf dem Zeitungsfoto sind Maja und Frieda. Ich wähle Maja, und zwei Frauen freuen sich über die Bekanntschaft per Telefon. Maja erinnert sich an die ältere Schwester von Serafima, sie erzählt Serafima über ihre Arbeit, die darauf gerichtet ist, dass Paretscha den Titel „Dorf der Gerechten“ bekommt. Serafima erklärt sich einverstanden, einen Brief mit Unterstützung dieser Idee an Yad Vashem zu schreiben.

In einem Bericht für belarussische Massenmedien beantwortet Maja die Frage, warum der Titel „Dorf der Gerechten“ notwendig sei, folgenderweise:

„Ja, das stimmt, die Leute sind nicht mehr am Leben. Aber ich glaube, es wäre richtig, wenn das Dorf diesen Titel bekommt. Es verlangt doch keine Finanzierung. Wenn statt dem Schild „Paretscha 11 km“ das Schild mit der Inschrift „Dorf der Gerechten Paretscha“ stünde, so würden sich die Leute dafür interessieren, warum sie die Gerechten sind und was es bedeutet“.

Die Erinnerung an den Krieg, an ihre eigene Familie zu bewahren, die Geschichte der Rettung zu notieren und die Anerkennung denen zu zollen, die ihr eigenes Leben und das Leben ihrer Nächsten riskierend die Juden retteten, – das wurde zum Lebenszweck von Maja seit dem Moment, als Ende der 80er Jahre es überhaupt möglich wurde, sich mit diesem Thema zu befassen. All diese Zeit brachte Maja die Geschichten der Holocaust-Opfer mühevoll in die Kriegsgeschichte zurück. Ihr Buch erschien 2008. Im Vorwort dazu bemerkt sie:

„Nach langem Überlegen beschloss ich, dieses Buch zu schreiben, über mein schweres Leben zu berichten. Es ist meine Pflicht gegenüber dem Andenken der ermordeten Gefangenen des Minsker Ghettos, der älteren Generation, die uns, Kriegskinder, gerettet hat“.

Ein Video mit dem Bericht über den Besuch in Berlin finden Sie hier:

https://vimeo.com/88704538

Der Bericht über das Dorf der Gerechten Paretscha:

https://sputnik.by/victory/20170507/1028663760/nepodvig-istoriya-belorusskoj-derevni-gde-v-vojnu-pryatali-40-evrejskih-detej.html

Das Buch von Maja Krapina: „Die dreifach Wiedergeborene. Erinnerungen einer ehemaligen Gefangenen des Minsker Ghettos“ kann man in elektronischer Variante im Zeitzeugenarchiv auf der Webseite der Geschichtswerkstatt „Leonid Lewin“ Minsk  finden.