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Internationales Bildungs- und Begegnungswerk in Dortmund

Dritter Netzwerkkongress Inklud:Mi: Ruf nach einer bundesweiten Vernetzung

Dritter Netzwerkkongress Inklud:Mi: Ruf nach einer bundesweiten Vernetzung
Podium des Netzwerkkongress Inkld:Mi Foto: Stephan Schütze

Podium des Netzwerkkongress Inkld:Mi
Foto: Stephan Schütze

„Wir brauchen eine bundesweite Vernetzung und einen engen Austausch“, lautete der Ruf auf dem dritten Netzwerkkongress Inklud:Mi, zu dem das Internationale Bildungs- und Begegnungswerk e. V. in Dortmund am Mittwoch, 5. Juli, ins Dietrich-Keuning-Haus in Dortmund eingeladen hatte. Die besonders schutzbedürftige Zielgruppe der Zugewanderten mit Behinderung werde an vielen Stellen im deutschen Hilfesystem noch immer nicht mitgedacht. Spezielle Hilfsangebote und Best-Practice-Modelle müssten unter Fachkräften und Ehrenamtlichen besser bekannt gemacht werden.

„Die Arbeit mit der sehr heterogenen Gruppen der Zugewanderten mit Behinderungen oder psychischen Beeinträchtigungen erfordert eine besondere Sorgfalt, Zeit und ein differenziertes kultursensibles Hintergrundwissen“, zog Hildegard Azimi-Boedecker, Leiterin des Fachbereichs Beruf international und Migration im IBB e. V. am Ende des Kongresses Bilanz.

In seinem Grußwort ermutigte Michael Taranczewski, stellvertretender Vorsitzender des Integrationsrates der Stadt Dortmund, auch immer wieder politische Forderungen zu formulieren.  „Als Vorsitzender des Sozialausschusses kann ich nur betonen, dass Ratsmitglieder für aktuelle Informationen dankbar sind.“

Dr. Susanne Schwalgin von Handicap International e.V. in Berlin berichtete über eine aktuell noch laufende Bedarfsanalyse unter Zugewanderten in Berlin, Brandenburg und Bayern. „Was besonders alarmierend ist: Flüchtlinge mit einer Behinderung profitieren nicht von Integrationsangeboten.“ Geeignete und passende Unterstützungsangebote ließen sich häufig nur mit großem personellen Aufwand finden. „Wir können das aber nicht für jeden leisten.“

Dr. Schwalgin erkannte einen gewissen Fehler im System: Häufig würden Hilfen von der Diagnose her gedacht. Doch in vielen Fällen sei es zielführender, wenn die Betroffenen befragt würden: „Wo wünschen Sie sich Unterstützung?“ In vielen Fällen könne nämlich schon mit vergleichsweise geringem Aufwand schnell viel erreicht werden und einer kostspieligen Über- oder Falschversorgung vorgebeugt werden.

Cornelia Kaiser-Kauczor

Die Familientherapeutin Cornelia Kaiser-Kauczor aus Essen widmete sich besonders der Situation von Kindern und Jugendlichen mit Flucht- oder Zuwanderungsgeschichte und warb für eine kultursensible Differentialdiagnostik. „Sprachbarrieren, traumatische Fluchterfahrungen, fehlendes Vertrauen und falsche Vorinformationen über das deutsche Hilfssystem können die Kommunikation zwischen Zugewanderten und Fachkräften erschweren und zu Fehldiagnosen führen, die ganze Lebensläufe verändern“, so Kaiser-Kauczor. In der Praxis zeige sich häufig auch, dass Rechtsanwälte und Therapeuten, Mitarbeitende in Ausländerbehörden, Jugendämtern und Schulen sehr unterschiedliche Ziele verfolgten. Als Beispiel beschrieb sie den Fall eines fälschlicherweise als geistig behindert eingestuften Jungen. Ihr Fazit: „Wir brauchen Strukturen, die uns die Arbeit leichter machen.“

Best-Practice-Beispiele rückten in der Workshop-Arbeit am Nachmittag in den Mittelpunkt. Die Lebenshilfe e.V. in Dortmund stellte ihre neue kultursensible Beratungsstelle vor. Seit April 2017 stehen mit Resmigul Acil und Nigary Aliyeva zwei Mitarbeiterinnen speziell für Fragen von Zugewanderten mit Behinderung oder psychischer Beeinträchtigung zur Verfügung. Die Diakonie Michaelshoven bietet einmal wöchentlich so genannte Workshops für Sehbehinderte, Blinde und geistig behinderte Zugewanderte an. „Wir stehen dort einfach nur für Fragen bereit unter dem Motto: Was möchtet Ihr wissen?“, schilderte Wolfgang Buttschardt. Ziel sei es, Bedarfe zu ermitteln, um dann in einem nächsten Schritt Angebote zu entwickeln. Die wöchentlichen Workshops werden regelmäßig von zehn bis zwölf Personen besucht.

Auf die kaum beachtete Gruppe der gehörlosen Geflüchteten lenkte schließlich Christine Tschuschner, Flüchtlingsbeauftragte des Landesverbandes der Gehörlosen NRW, den Blick: „Gehörlose fühlen sich nicht als Behinderte, sondern sind stolz auf das, was sie erreicht haben“, sagte sie in Gebärdensprache. In den Notunterkünften seien die gehörlosen Zugewanderten häufig lange Zeit unauffällig und daher regelrecht unsichtbar. Der Landesverband NRW betreue im Rahmen des Projekts „Deaf Refugees Welcome“ zurzeit 100 gehörlose Geflüchtete. Bundesweit seien 900 gehörlose Geflüchtete bekannt.

Integrationskurse für Hörende können Gehörlose jedoch nicht nutzen. Sie brauchen stattdessen spezielle Sprachkurse, wie sie die Sprachschule Heesch aus Düsseldorf an mehreren Standorten anbietet, die ihre Dienstleistung vorstellte. Besonders problematisch sei es für Analphabeten unter den Gehörlosen, die auch keine Gebärdensprache sprechen. „Ich kenne aus meiner Arbeit in den vergangenen drei Jahren etwa 20 bis 30 Anfragen von Gehörlosen, die nicht die Gebärdensprache beherrschen“, berichtete Katharina Volkmann von der Sprachschule. „Diese Menschen sind für unsere Kurse verloren! Da können wir dann auch nicht helfen.“

„Ziel unserer Netzwerktreffen ist es, vorhandene Hilfsangebote für die unterschiedlichen Bedarfe untereinander bekannt zu machen, Lücken im Hilfenetz zu erkennen und auch neue Angebote in möglichst breiter Kooperation zu entwickeln“, sagte Hildegard Azimi-Boedecker vom IBB e.V..  Genau diese Vernetzung war von den beiden Bundesbeauftragten für Behinderung bzw. Integration, Verena Bentele und Aydan Özoğuz, unlängst gefordert worden.

Die Dokumentation zum Netzwerkkongress lnklud:Mi finden Sie (in Kürze) hier.