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Internationales Bildungs- und Begegnungswerk in Dortmund

Erfahrene Lehrkräfte begegneten noch wenig bekannten Lernorten in Ostpolen

Erfahrene Lehrkräfte begegneten noch wenig bekannten Lernorten in Ostpolen

Auschwitz – den Symbolort für die systematische Massenvernichtung von Juden – hatten die Lehrkräfte schon mehrfach mit Schülergruppen bereist. Lernorte in Ostpolen wie Majdanek und Bełżec lernte diese Reisegruppe auf der jüngsten Fortbildung des IBB e.V. im Spätherbst 2017 aber erst neu kennen. „Es ging uns darum, zu erfahren, wie Lehrkräfte, die schon viel Erfahrung mit Gedenkstättenfahrten haben, diese Gedenkorte sehen“, schilderte Agata Grzenia, Referentin im IBB e.V. Und das Urteil fiel am Ende überaus positiv aus. „Sehr gut geeignet für Fahrten mit Jugendlichen“, hieß das einhellige Votum.

Lehrergruppe unterwegs in MajdanekDer Besuch eines Erinnerungsortes geht jedes Mal weit über das hinaus, was Geschichtsunterricht in Schulen vermitteln kann. Das wissen auch die elf Lehrerinnen und Lehrer aus Nordrhein-Westfalen, die an der Fortbildung vom 24. bis 26. November 2017 teilnahmen. Interessant für Lehrkräfte ist jedoch die Frage, wie Lernorte für ein forschendes Lernen erschlossen werden können, welche Materialien und welche Anknüpfungspunkte sie bieten.

Die Lage der Lager Majdanek und Bełzec im heutigen Ostpolen bietet insofern eine Besonderheit, als dass sie sich damals im Generalgouvernement befanden und der Nazi-Terror dort besonders verbreitet war. „Es wird viel deutlicher, wie Deutschland als Besatzungsmacht vorgegangen ist“, urteilte Kristina Hegemann, Lehrerin an der Karl-Kisters-Realschule Kleve, am Ende der Fortbildung.

Gut erreichbar am Stadtrand von Lublin gelegen und nur von wenigen Touristen besucht,   bietet Majdanek einzigartige Exponate und Eindrücke und einen ruhigen Rahmen. Die erhaltenen Baracken in der 1944 eröffneten, ältesten Holocaust-Gedenkstätte der Welt machen es Besuchergruppen leicht, in die Geschichte einzutauchen. Schülerinnen und Schüler können nachempfinden, wie die hierher Deportierten litten. Anhand historischer Dokumente lassen sich Leidenswege aus den Städten des Ruhrgebiets nach Majdanek nachvollziehen. Erhaltene Briefe vermitteln einen Einblick in die Hoffnungen der Lagerinsassen. Die langen Listen der Ermordeten dokumentieren auch, wie trügerisch die Hoffnungen waren. Auch über die Täter ist an diesen Orten Vieles bekannt.

Majdanek war das erste deutsche Konzentrationslager im Generalgouvernement, in dem zwischen 1941und 1944 zeitweise bis zu 25.000 Häftlinge unter unvorstellbaren Bedingungen eingeschlossen waren und ca. 78.000 Menschen ermordet wurden. Im Besucherzentrum gibt es Seminarräume und eine Menge aufbereitetes Lernmaterial für Schülerinnen und Schüler, das für Besuchergruppen aus Deutschland auch in deutscher Sprache vorliegt. Eine deutschsprachige pädagogische Fachkraft hilft bei der Einordnung und Bewertung.

Lehrergruppe unterwegs in Majdanek und UmgebungAuf der Busfahrt in das von Lublin etwa 130 Kilometer entfernte Vernichtungslager Bełżec unweit der ukrainischen Grenze kommt man an den Ortschaften Izbica und Zamość vorbei, die ebenfalls unbedingt bei einem Zwischenstopp besucht werden sollten. Auf den ersten Blick wirkt Izbica wie ein kleines, beschauliches Städtchen, das jedoch auf den zweiten Blick tiefe Narben der Vergangenheit erkennen lässt. Izbicas einst große jüdische Gemeinde wurde fast vollständig vernichtet. Ein Besuch auf dem ehemaligen jüdischen Friedhof verdeutlicht Izbicas Geschichte auf bedrückende Weise.

Auch in Zamość, der fast mediterran wirkenden Altstadt, kann man sich nur schwer vorstellen, was sich vor 75 Jahren dort ereignet hat. 1942 erklärte Himmler in seiner Funktion als Reichskommissar für die „Festigung deutschen Volkstums“ den Kreis Zamość „zum ersten deutschen Siedlungsgebiet“, das „germanisiert“ werden sollte. Die Bevölkerung sollte teils umgesiedelt, teils ermordet werden, um rund 60.000 Ansiedler unterzubringen. Rund 110.000 Polen aus 300 Dörfern wurden verschleppt und “selektiert“: Arbeitsfähige waren zur „Wiedereindeutschung“ oder für die Zwangsarbeit in Deutschland bestimmt. Menschen über 60 oder unter 14 Jahre wurden in so genannte „Rentendörfer“ verschickt. „Rentendörfer“ wurden die jüdischen Siedlungen genannt, deren Bewohner in die Vernichtungslager deportiert worden waren – wie in Izbica geschehen. Dort erfroren und verhungerten Tausende von zwangsausgesiedelten Kindern und alten Menschen. Die Kinder, die für die „Aufnordung“ oder „Eindeutschung“ als geeignet eingestuft wurden, kamen in spezielle Kindererziehungslager, wo sie germanisiert wurden und an deutsche Familien mit gefälschten Geburtsurkunden verteilt wurden. Die vierte Gruppe wurde als kriminell oder asozial eingestuft, weil sie Widerstand leistete, und direkt in Vernichtungslager deportiert.

Unweit von Zamość erreicht man schließlich die Gedenkstätte Bełżec, für deren Begehung ähnlich wie in Majdanek genügend Zeit eingeplant werden sollte. Das Vernichtungslager Bełżec wurde 1941 gebaut. Sein einziger Zweck bestand in der Tötung der jüdischen Bevölkerung aus dem Lubliner Raum, aus Galizien, Krakau, aber auch aus Deutschland, Österreich und der Tschechoslowakei. Bis Ende 1942 wurden dort 500.000 bis 600.000 Menschen, hauptsächlich Juden, getötet, das Lager anschließend zerstört.

Lehrergruppe unterwegs in MajdanekEine deutschsprachige Führung erschließt  das Gelände der heutigen Gedenkstätte. Die Begehung ermöglicht eine tief bewegende und erschütternde Erfahrung. Die multimediale Ausstellung im angeschlossenen Museum vertieft die Eindrücke und beschließt einen intensiven Tag, der nachwirkt. „Bełżec ist ein stummer Ort, der zur Reflexion einlädt“, sagt IBB-Referentin Agata Grzenia. Das Mahnmal ist so konzipiert, dass es Besucherinnen und Besuchern regelrecht über den Kopf wächst.

„Beide Lager ergänzen sich sehr gut“, urteilte Maren Niemeyer, Lehrerin an der Europaschule Oberhausen, über die didaktische Aufbereitung der Ausstellungsstücke; „Majdanek mit den erhaltenen Lagerstrukturen und im Gegensatz dazu die eher museale Gedenkstätte Bełzec.“

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