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Internationales Bildungs- und Begegnungswerk in Dortmund

Erste virtuelle Seminarreihe im Förderprogramm Belarus mit 70 Teilnehmenden aus fünf Ländern

Erste virtuelle Seminarreihe im Förderprogramm Belarus mit 70 Teilnehmenden aus fünf Ländern

Zum ersten Mal in der Geschichte des Förderprogramms Belarus hat das Internationale Bildungs- und Begegnungswerk gGmbH in Dortmund eine Seminarreihe komplett online angeboten. Mehr als 70 Teilnehmende – darunter Expertinnen und Experten  aus Nichtregierungsorganisationen, staatlichen Stellen und Unternehmen – versammelten sich zu drei jeweils rund dreistündigen Online-Seminaren am 23. Juni, 30. Juni und 7. Juli 2020 vor ihren Monitoren im virtuellen Konferenzraum.

Erstmals nahmen neben Deutschen und Belarussen auch Interessierte aus der Ukraine, Georgien und Moldawien teil.

„Bedingt durch Covid-19 mussten wir auf alle Veranstaltungen in Minsk verzichten und haben uns daher für das Online-Format entschieden“,

sagt Dr. Astrid Sahm, Geschäftsführerin der IBB gGmbH.

„Und dies hat auch etwas Gutes: Wir konnten mehr Expertinnen und Experten gewinnen und Akteure aus vier Ländern einbeziehen.“

Bei der Seminarreihe zum Thema „Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen auf dem offenen und geschlossenen Arbeitsmarkt“ stand im Hintergrund der neue Gesetzentwurf „Über die Rechte von Menschen mit Behinderungen und ihre soziale Integration“, der sich aktuell in Belarus im Gesetzgebungsverfahren befindet. Die in Deutschland seit vielen Jahren (weiter-)entwickelten Ansätze zur Gewährleitung beruflicher Inklusion können in dieser Situation gut als Ausgangsmodell dienen.

In Belarus sollen Unternehmen mit mehr als 100 Beschäftigten künftig zu einer Ausgleichsabgabe verpflichtet werden, wenn sie keine Menschen mit Behinderungen beschäftigen. Oleg Tokun, Leiter der Abteilung für Beschäftigungspolitik im Ministerium für Arbeit und Sozialschutz der Republik Belarus, skizzierte das Ziel des Gesetzes so: „Mit unserem Gesetzesvorhaben möchten wir in erster Linie eine Verbesserung für die Zielgruppe der Behinderten erreichen und nicht eine Belastung für die betreffenden Unternehmen.“

Oksana Elova, thematische Koordinatorin des sozialen Bereichs im Förderprogramm Belarus und Aksana Yankovich, Progammkoordinatorin des sozialen Bereichs im Förderprogramm, moderierten die Online-Vorträge und nahmen auch viele Fragen auf, die im Nachgang zu den Seminaren beantwortet oder weiter bearbeitet werden.

Im ersten Web-Seminar hatte Jan-Philipp Buchheister von der GVP Gemeinnützige Werkstatten Bonn GmbH dargestellt, welchen Beitrag eine gemeinnützige Werkstatt zur Inklusion von Mitarbeitenden mit Behinderungen und Beeinträchtigungen ins Arbeitsleben leistet. Immerhin rund 7,9 Millionen Menschen  mit einer Schwerbehinderung von 50 Grad oder mehr lebten zum Jahresende 2019 in Deutschland. Der Anteil an der Gesamtbevölkerung betrug damit fast zehn Prozent. In neun von zehn Fällen (89%) war eine Krankheit die Ursache.

In den Bonner Werkstätten sind rund 500 Menschen mit Behinderung in den Bereichen Büro und Logistik, Catering und Dienstleistungen oder Montage und Verpackung beschäftigt. 70 Mitarbeitende ohne Behinderung unterstützen sie. Der enge Kontakt zu den Gemeinnützigen Werkstätten eröffnet Betroffenen den Zugang zu besonders auf ihre Bedürfnisse zugeschnittenen Betreuungs- und Unterstützungsangeboten wie Gesprächskreisen und Kursen, um das eigene Leben mit Einschränkungen besser bewältigen zu können oder um zum Beispiel gemeinsam Sport zu treiben.

Die berufliche Qualifizierung gelinge in aller Regel mit großem Erfolg. Das gemeinsam Erreichte stärke immer auch die Persönlichkeit der Mitarbeitenden. Sie sollen sich selbst nicht als hilflos erleben, sondern als geschätzter Teil der Gesellschaft.

Im zweiten Web-Seminar ging es um die Frage, wie das Ziel – die berufliche Inklusion von Mitarbeitenden mit Behinderungen – durch Anreize der staatlichen Institutionen erreicht werden kann. Peter Stadler, Berater und Arbeitsmarktexperte der Beratungsstelle für Inklusive Unternehmen (FAF), stellte dazu besonders das Instrument der Ausgleichsabgabe vor. Privatwirtschaftliche Unternehmen ebenso wie gemeinnützige Organisationen und Einrichtungen der öffentlichen Hand mit mehr als 20 Mitarbeitenden sind in Deutschland verpflichtet, fünf Prozent der Arbeitsplätze mit Menschen mit einer Behinderung zu besetzen. Können sie diese Forderung nicht umsetzen, müssen sie eine in der Höhe gestaffelte Ausgleichsabgabe zahlen. Die Ausgleichsabgabe wiederum wird zweckgebunden eingesetzt, um Menschen mit einer Behinderung zu qualifizieren oder Arbeitsplätze technisch so umzurüsten, dass Menschen mit Einschränkungen dort arbeiten können. 70 Prozent der Ausgleichsabgabe fließen zurück an Unternehmen und Einrichtungen.

Im dritten Web-Seminar ging es schließlich um die Kommunikation zwischen staatlichen Stellen, Unternehmen sowieArbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern mit Behinderung. Dorte Cancel von der GVP Bonn-Rhein-Sieg gGmbH beschrieb anschaulich, dass sich ihre Beratung an den konkreten Bedarfen der betreuten Menschen orientiert. In einer drei Monate dauernden Eingangsphase gehe es zunächst um die Fertigkeiten der betreffenden Person von der Konzentrationsfähigkeit bis zur Kontaktfreude. Für psychisch Erkrankte könne zum Beispiel eine Tätigkeit im Gartenbau sinnvoll sein, für Konktaktsuchende eine Arbeit im Dienstleistungssektor.

Ali Atak, Fachberater in der Industrie- und Handelskammer Bonn/Rhein-Sieg, arbeitet an der Seite der Unternehmen. „Es kommt zum Beispiel vor, dass Mitarbeitende durch einen Unfall oder eine Herzerkrankung oder Diabetes ihre bisherige Tätigkeit nicht mehr wie früher erfüllen können“, schilderte er. Firmen können dann einen Lohnkosten-Zuschuss erhalten und Zuschüsse für die technische Umrüstung von Arbeitsplätze. Die Zuschüsse stammen dann größtenteils  aus der Ausgleichsabgabe. Bei der Antragstellung hilft Ali Atak. Vielfach müsse er auch Vorbehalte abbauen: „Es gibt manchmal die Befürchtung, dass Mitarbeitende mit einer Behinderung häufiger krank sind“, schilderte er. Stattdessen überwiegen aus seiner Sicht aber die positiven Auswirkungen. „Die Integration von schwerbehinderten Mitarbeitenden wirkt sich insgesamt positiv auf ein als familiärer empfundenes Arbeitsklima aus“, sagte er. Seine Tätigkeit liege häufig in der Beratung von Unternehmen, die Arbeitsplätze behindertengerecht umbauen wollen und er stehe auch häufig im Austausch mit der Kollegin Cancel, um geeignete Mitarbeitende für bestimmte Aufgaben zu suchen.

„Mit unserer Seminar-Reihe zur Förderung der Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am Arbeitsleben möchten wir den Weg bahnen für einen Dialog zwischen allen Beteiligten: Zivilgesellschaft, Staat und Unternehmen“,

fasst Astrid Sahm die Intention der Seminarreihe zusammen.

„Diese Frage ist Teil unseres Gesamtziels im Förderprogramm Belarus, die Umsetzung der Agenda 2030 und insbesondere des Agenda-Prinzips „Niemanden zurücklassen“ in Belarus zu unterstützen. Denn die aktive Teilhabe von benachteiligten Gruppen ist eine zentrale Voraussetzung für die nachhaltige Entwicklung von Gesellschaften, wie auch deutsche Erfahrungen bestätigen.“

Angesichts der zahlreichen positiven Rückmeldungen aus dem Teilnehmendenkreis plant das IBB Dortmund im Rahmen des Förderprogramms Belarus weitere Maßnahmen zum Thema Inklusion im Arbeitsleben. Ein wichtiges Pilotprojekt wird bereits in Kooperation mit UNDP und dem Sozialausschuss des belarussischen Parlaments umgesetzt: Bis Ende August wird ein wissenschaftliches Team eine umfassende Gesetzesfolgenabschätzung zu dem Gesetzesentwurf über die Rechte von Menschen mit Behinderung erarbeiten. Hierzu sollen Informationen und Stellungnahmen von allen wichtigen Stakeholdern eingeholt werden.

Weitere Informationen über das Förderprogramm Belarus finden Sie hier.