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Internationales Bildungs- und Begegnungswerk in Dortmund

Europa-Kolumne 5: Das Rüstzeug für eine europäische Idee

Europa-Kolumne 5: Das Rüstzeug für eine europäische Idee

Bei internationalen Jugendcamps zeigt Gärtner Markus Fleischer jungen Menschen aus ganz Europa, wie man gemeinsam etwas baut, selbst wenn die Vokabeln fehlen.

„Ich heiße Markus Fleischer, bin 49 Jahre alt, Gärtner und lebe seit neun Jahren in der Dortmunder Nordstadt. Ich arbeite als Ausbilder beim Agricola-Berufskolleg in Dortmund. Dort unterstütze ich junge Menschen beim Berufseinstieg.

Seit 2013 engagiere ich mich bei ewoca³, einem Programm für europäische Jugendbegegnungen. Bei zweiwöchigen Camps mit Jugendlichen aus ganz Europa bin ich für alles zuständig, was mit Natur und Bauen zu tun hat. Ich stelle Hilfsmittel bereit und leite praktische Arbeiten an. Bei einem meiner letzten Projekte habe ich mit einer Gruppe Jugendlicher an einem „grünen Klassenzimmer“ gearbeitet. Wir haben für einen Sommerklassenraum Bänke und eine Hecke aus lebenden Gehölzen wie Weidenpflanzen gebaut.

Die Projekte sollen nachhaltig sein, also auch in der Zeit nach den Workcamps genutzt werden. Die Bauteile kaufen die Teilnehmer nicht neu, sondern verwenden vorhandenes Material, indem sie es aufwerten und umnutzen. Dafür biete ich ihnen Zugriff auf Werkzeug. Ein konkretes Ziel ist dabei zwar vorhanden, aber eigentlich geht es um und darum, den jungen Leuten das Werkzeug für eigene Ideen und Projekte an die Hand zu geben.

Bei den Camps treffen Menschen aus Ländern mit unterschiedlichen Sprachen und Kulturen aufeinander. Das ist zunächst eine Barriere, die die Jugendlichen überwinden müssen. Eine Gemeinsamkeit aller sind die Vorurteile, die man über einander im Kopf hat. Schon allein die Namen der anderen Teilnehmer kennenzulernen und zu sagen ‚Hallo, wie geht’s? Setz dich doch hin‘ kann zur Herausforderung werden.

Projektpräsentation beim Workcamp

Markus Fleischer bei seiner Arbeit mit Jugendlichen in einem Workcamp: „Die Projekte sollen nachhaltig sein.“

Auch mein Englisch war zunächst schwach. Verständigen konnte ich mich nur mit den Grundlagen aus der Schule, Handzeichen und dem Google Übersetzer. Menschen sind scheu und gehen erstmal nur langsam aufeinander zu. Doch sobald die Gruppen sich bei den Camps durchmischen, werden alle schnell zu einer großen Familie, die sich gar nicht mehr trennen will. Die Trauer beim Ende ist immer riesig.

Das Thema Europa war für mich zuerst nebensächlich. Was Europa heißt, habe ich erst gemerkt, als es bei den Camps um Sprache, Essgewohnheiten und Kulturen ging: Die Italiener sind Pasta und Weißbrot mit Nutella gewohnt. In Minsk gibt es kein Weißbrot. In Belarus gibt es morgens meistens warmes Essen. Da sucht sich jeder das Beste raus oder geht Kompromisse ein.

Mein Job und mein Leben waren eng. Europa habe ich nicht gesehen. Es hat mich nicht interessiert – trotz Nachrichten und allem, was man liest. Durch Zufall bin ich mit dem Thema Europa und den Jugendcamps in Berührung gekommen. Ich habe dann die Barriere Sprache gesehen und war echt nervös. Ich habe dann gemerkt, dass Öffnen super ist. Das Zusammentreffen bei den Camps ist geplant. Es findet in einem geschützten Rahmen statt und alle haben ein Ziel. Das hat meine Neugierde auf andere Länder geweckt.

Ich bin früher fast nie gereist. Als ich die Möglichkeiten hatte, habe ich das nie gemacht. Ohne Europa hätte ich nicht gelernt, einen offenen Zugang zu Menschen zu finden. Ich hätte nicht gelernt, dass ich mich trauen darf, auch mit schwachem Englisch zu sprechen.

Ich will heute keinen Pauschaltourismus mehr. Ich habe ein Interesse daran, Leute kennenzulernen, die in dem Land leben, in das ich reise. Ich habe bei den Camps Menschen kennengelernt, die mich eingeladen haben, wieder zu Besuch zu kommen. Ich hoffe, dass Europa sich nicht einkesselt, sondern dass es eine gemeinsame Idee gibt, andere Länder wie Italien und Griechenland nicht hängen zu lassen.“

Aufgeschrieben von Chantal Stauder