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Internationales Bildungs- und Begegnungswerk in Dortmund

Europakolumne 10: Von Vielfalt lernen

Europakolumne 10: Von Vielfalt lernen

Rita, Lisa und David absolvieren ein Jahr Europäischen Freiwilligendienst bei der Auslandsgesellschaft NRW e.V. in Dortmund. Sie kommen aus drei verschiedenen Ländern und führen ein gemeinsames WG-Leben am Borsigplatz.

Ritas Wurzeln liegen in Russland. Sie ist 22 Jahre alt und kommt aus einem kleinen Ort an der Wolga. Fünf Jahre hat sie in Tula gelebt und studiert. Lisa ist 21 Jahre alt, kommt aus Nikolajev in der Ukraine und ist seit zwei Monaten in Deutschland.

David ist 21 Jahre alt, in Wien geboren und Sohn eines Ägypters und einer Österreicherin. Er hat gerade das Abitur absolviert und leistet den Europäischen Freiwilligendienst, um nicht zum Militär zu müssen. Denn in Österreich herrscht – anders als Deutschland – noch Wehrpflicht. David sagt: „Von negativen Aspekten Europas war ich persönlich nicht betroffen. Grenzen waren für mich nie so präsent. Ich bin viel herumgereist. Mein Vater hat mir erzählt, dass er in Ägypten ein Visum brauchte, nur um ins Nachbarland zu kommen. All das ist mit Mehraufwand verbunden. In Europa haben wir sogar das Privileg der selben Währung.“

Sich selbst als Europäer denken

Auf dem Gymnasium, das er besucht habe, sei es eher verbreitet gewesen, sich als Europäer zu denken. „Bei uns gab es immer Menschen aus verschiedenen Ländern in der Klasse, zum Beispiel dem Balkan“, so David. „Ich weiß, dass Europa natürlich trotzdem Probleme hat.“

„Ich hatte immer viel Interesse für europäische Kunst“, erzählt Rita. „Aber ich komme aus dem größten Land der Welt. Bis ich 18 Jahre alt war, hatte ich kein einziges der anderen Länder gesehen. Russland ist unendlich groß. Du fühlst dich so, als sei die ganze Welt weit von dir entfernt. Es waren 3000 Kilometer bis Europa. Bis ich die Ukraine oder Weißrussland erreicht hätte, wären es zehn oder zwölf Stunden Fahrt gewesen.“

Nicht an Geld und Papiere denken müssen

Als Lisa klein war, sei sie viel mit ihren Eltern gereist, sagt sie. Europa habe sie mit Pizza, schönen Menschen, schönen Gebäuden und Straßen verbunden. „Das wirtschaftliche Gefälle zwischen den Ländern und den Menschen stand für mich nicht so im Fokus. Doch vor drei Jahren, mit der europäischen Revolution in der Ukraine, habe ich begonnen mich zu fragen, wohin wollen wir jetzt gehen?“, so die 21-Jährige. „Seit Maidan (Anm. d. Redaktion: 2013 ausgelöste Bürgerproteste in der Ukraine) fühle ich mich Europa näher. Ich sehe es als ersten Schritt für intensivere Beziehungen zwischen der Ukraine und Europa.“

Heute, so Lisa, stehe Europa für sie für Freiheit. Die Freiheit, sich zu bewegen, zu reisen, spontan zu sein, nicht an Geld und Papiere denken zu müssen. „Durch diese ganzen Programme wie den Europäischen Freiwilligendienst oder Erasmus habe ich schon so viele Menschen getroffen.“ Diese Möglichkeit wünscht sie sich auch für andere.

Die Menschen sind nicht das Regime

„Ich habe für mich in Deutschland eine zweite Heimat gefunden“, so Rita. Sie berichtet, als Russin begegne ihr ab und zu auch Diskriminierung: „Da kommen dann Fragen zu Präsident Putin und ich muss den Menschen immer sagen: Ich kenne ihn nicht persönlich. Ich bin nur ein junges Mädchen, das gerade seinen eigenen Weg in der Welt sucht. Ich möchte daran erinnern: Man muss auch zwischen den Bürgern eines Landes und seiner Regierung unterscheiden.“

Wenn es nach ihr ginge, sollte Russland näher an Europa kommen, damit junge Menschen sich austauschen können. Sie sagt: „Je weniger Erfahrungen man miteinander macht, umso mehr Klischees hat man voneinander im Kopf. In Europa gibt es unendlich viele Kulturen, die so gut miteinander umgehen.“

Beim Punkt Mobilität sind sich alle drei einig: Um Austausch und gegenseitiges Verständnis zu fördern, solle es für Bürger aller Länder einfach sein, zu reisen, woanders zu leben, zu studieren – egal, woher man kommt. Es brauche weniger kleine Gruppen, die andere ausschließen. Dabei gehe es nicht um Gleichmacherei, sondern darum, von Vielfalt zu lernen.

Chantal Stauder