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Internationales Bildungs- und Begegnungswerk in Dortmund

Europakolumne 9: Nochmal ganz von Null anfangen

Europakolumne 9: Nochmal ganz von Null anfangen

Leonora Ahmetaj in Deutschland geboren. Ihr Vater ist Albaner und aus dem Kosovo nach Deutschland gekommen. Nun möchte die 18-Jährige selbst irgendwo anders komplett neu anfangen.

Leonora lebt in Dortmund und macht nächstes Jahr Abitur. In ihrer Freizeit treibt sie seit sie klein ist Sport. Früher Kinderturnen, Schwimmen, Volleyball. Heute Leichtathletik, genauer gesagt Diskurswerfen. Sowohl ihre Schwester als auch ihre Mutter sind in dem Bereich ebenfalls aktiv. Darüber hinaus engagiert sich Leonora politisch. Bei den Botschaftern der Erinnerung und der Linken Jugend in Dortmund. Sie organisiert zum Beispiel Gedenkstättenfahrten zu ehemaligen Konzentrationslagern. „Es ist krass zu sehen, dass der Hass zur Zeit der Nationalsozialisten fast durch die ganze Welt ging“, so Leonora. „Da gab es kein Europa, das dich aufgefangen hat, wo du hin flüchten konntest.“

Nächstes Jahr wird sie für ein Jahr in den Kosovo gehen. Sie möchte dort Europäischen Freiwilligendienst absolvieren, mit Kindern arbeiten oder etwas mit Politik machen. Sie erklärt: „Eine neue Kultur, neues Klima, neues Denken – Das reizt mich.“

Andere Realitäten kennenlernen

Portrait

Leonora Ahmetaj: „Eine neue Kultur, neues Klima, neues Denken – Das reizt mich.“ Foto: Chantal Stauder

Die junge Dortmunderin reist viel und gerne. Ihr nächstes Ziel ist Finnland. Leonora sagt, sie wolle so viele europäische Länder wie möglich besuchen. Den Freiwilligendienst macht sie, um auch andere Realitäten kennenzulernen. „Man redet in Deutschland immer viel von Multi-Kulti. Aber es ist was anderes, wenn man mal selbst versucht, sich woanders komplett zu integrieren, wo eine andere Sprache gesprochen und andere Kultur gelebt wird. Eine Gesellschaft, in der es vielleicht selbstverständlich ist, dass die Frauen zu ihren Männern ziehen und sich vorrangig im Haus aufhalten.“

Bei der Frage, was Europa für sie ist, fühlt sich die 18-Jährige zwiegespalten. Sie ist sich nicht sicher, ob sie Europa nur als Kontinent und anhand von Landesgrenzen sehen soll. Europa symbolisiert für Leonora Friedenssicherung: „Länder, die sich bisher gar nicht verstanden haben, nähern sich deswegen an.“ Andererseits muss die Dortmunderin an Länder wie Griechenland denken, wo Menschen im Zuge der Finanzkrise mitten in Europa zum Teil unter ärmlichsten Bedingungen leben. Den EU-Beitritt der Türkei sieht sie aufgrund der politischen Verhältnisse und der bürgerrechtlichen Situation kritisch. Sie sagt: „Es gibt in der Türkei keine gelebte Demokratie. Das verträgt sich nicht gut mit Europa.“

Einen Anteil am Reichtum

Dass der Kosovo der EU beitritt ist ihr wichtig. „Die Kosovaren hätten einen anderen Stand. Sie gehören nicht zur EU, obwohl sie auf dem Kontinent sind“, sagt sie. Leonora beobachtet, dass viele, die aus dem Kosovo nach Deutschland ausgewandert waren, nun im Kosovo Häuser bauen. Sie glaubt, die Menschen dort wollen einen Anteil von dem Reichtum, den sie plötzlich sehen. „Von 450 Euro kann man im Kosovo gut leben, wohnen und studieren. 100 bis 200 Euro Monatslohn sind schon gut, wenn ein Kaffee 50 Cent kostet.“

Sie sagt, ihr Cousin habe gerade sein Studium beendet. Er sei nun Anwalt. Die Jobsuche gestalte sich jedoch schwierig. Leonora beschreibt die Gesellschaft im Kosovo als eher ländlich mit viel Bauernschaft. „Es gibt viel Korruption, Bestechung und alte, festgefahrene Parteien, die sehr auf sich selbst fokussiert sind.“ Andererseits würden die Menschen meist herzlicher miteinander umgehen als in Deutschland. Man sei kontaktfreudiger, würde auch fremde Kindern wie selbstverständlich begrüßen und knuddeln.

Zweierlei Maß bei Sport und Zuwanderung

Ein Thema für Leonora sind Europas Sondernormen. Bei sportlichen Wettkämpfen und Nationalmannschaften etwa, so beobachtet sie, sei es in zahlreichen europäischen Ländern rechtlich viel einfacher und schneller möglich, den Status einer Person ungeachtet der Nationalität auf dem Papier zu ändern. Handelt es sich jedoch um ein Anliegen aus dem Bereich Zuwanderung, seien die bürokratischen Hürden plötzlich viel größer und die Verfahren dauerten um ein Vielfaches länger.

Chantal Stauder