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Internationales Bildungs- und Begegnungswerk in Dortmund

Flüchtlingssituation in Griechenland inakzeptabel. E4R Projekt- und Fachkräftegruppe zurück aus Thessaloniki

Flüchtlingssituation in Griechenland inakzeptabel. E4R Projekt- und Fachkräftegruppe zurück aus Thessaloniki

„Die Flüchtlinge sind keine Zahlen, sie sind Personen: Sie sind Gesichter, Namen, Geschichten – und als solche müssen sie behandelt werden“.
Papst Franziskus, Lesvos/Griechenland 2016

Park hinter dem Aristoteles-Platz ist Schlafplatz vieler Flüchtlinge. Foto: Azimi /Psychodakis 2018

Auf dem Aristoteles Platz von Thessaloniki wird es langsam dunkel, in einer Ecke riecht es nach Urin, die Handygeschäfte rund um den Platz sind von jungen Männern umlagert, die neue Karten kaufen oder aufladen wollen. Einzelne und Familien, ausgestattet mit Rucksäcken und Plastiktüten richten sich darauf ein, die Nacht im Freien zu verbringen oder hoffen auf Freiwillige, die sie zu den wenigen verfügbaren Unterkünften geleiten und erste Nothilfe leisten. Wenige hundert Meter weiter flaniert die noch immer gut situierte griechische Mittelschicht und kehrt in den schicken Cafés und gut besuchten Restaurants am aufwändig restaurierten alten Pier ein. Auch viele Touristen, besonders aus der Türkei sind in den warmen Sommertagen hier zu sehen.

Eine komplett verkehrte Welt tut sich hier auf: Täglich flüchten viele Menschen über die Türkei aus dem von türkischen Truppen eingekesselten nordsyrischen Afrin. Längst ist die Schlepperindustrie umgeschwenkt: Geflüchtete lassen sich gegen gute Bezahlung von Männern mit Booten über den wegen seiner Strömungen gefährlichen türkisch – griechischen Grenzfluss Evros bei Souvli lotsen, um von da aus das 360 km westlich liegende Thessaloniki zu erreichen. 4000 Verzweifelte waren es schon bis April 2018. Dazu kamen  zwischen Januar und März 2018 rund 5330 Menschen über das Meer, 2015 flüchteten sogar 856 723 Menschen über das Transitland Griechenland. Schätzungen des Flüchtlingshilfswerks der Vereinen Nationen (UNHCR) zufolge befanden sich Anfang 2018 etwa 43.000 Geflüchtete in Griechenland, Tendenz stark steigend mit bislang schon knapp 60 000 Menschen allein auf dem Festland im April. Gleichzeitig versuchen syrische Geflüchtete mit Bleibeperspektive aus Deutschland zurück zu ihren Familien in die Türkei zu gelangen – dem verhinderten Familiennachzug sei Dank.

UNHCR Bericht von Stefania Stefanovich zur Lage in Griechenland. Foto: Azimi /Psychodakis 2018

Auf diese Situation stießen die Fachkräfte der Projektgruppe Europe4refugees, die sich im April 2018 in der griechischen Festlandsmetropole zur Situation Geflüchteter in fünf europäischen Ländern austauschten. Das internationale Bildungs- und Begegnungswerk e.V. in Dortmund, IBB, ist Initiator und Koordinator des 19-monatigen EU- Projektes im Rahmen einer „ Strategischen Partnerschaft“. Nach einer ersten „Lernaktivität“, so der EU- Ausdruck für diese Fachkräftetreffen, im italienischen Cosenza im Herbst 2017 stand nun ein Vor-Ort Treffen in Griechenland auf dem Programm. Weitere Länderbesuche werden folgen. Partner aus Italien, Deutschland, Ungarn, Norwegen und von der griechischen Insel Lesvos trafen auf die Projektpartner aus Thessaloniki.

Nichtregierungsorganisationen sind die einzige Hoffnung Geflüchteter

Neben Inputs von verschiedenen NGO, dem UNHCR, dem Greek Council for Refugees u.a. wurden Einrichtungen der Flüchtlingshilfe besucht, die oft zunächst die wichtigste Grundversorgung bereitstellen. Ein Dach über dem Kopf, Essen, eine Dusche und Hilfen bei Behördengängen und bei der Einschulung der vielen Kinder leisten die Freiwilligen und die professionellen HelferInnen. Medizinische Grundversorgung und Impfungen bietet eine der größten NGO, Praksis landesweit an. Zusätzlich kümmern sich PsychologInnen SozialarbeiterInnen und RechtsberaterInnen von Praksis um unbegleitete Minderjährige. Hierzu stehen Wohngruppen und Häuser, ähnlich den Clearinghäusern in Deutschland zur Verfügung. Die Jugendlichen, viele traumatisiert, werden hier intensiv betreut und beraten. Was die Projektgruppe schon in Italien vorfand, gibt es auch in Griechenland: die sogenannte „Ping-Pong-Migration“. Entweder werden Leute an den Grenzen zurück geschoben.

Praksis Beratungsstelle für Wohnungslose. Foto: Azimi /Psychodakis 2018

So wird über nach übereinstimmender Meinung von Rechtsexperten illegalen push-backs in die Türkei berichtet. Geflüchtete werden mit Bussen unter Gewaltanwendung zwangsweise rechtswidrig rückdeportiert bevor sie überhaupt in ein Asylverfahren gelangen können. Oder aber abgelehnte oder von der langen Verfahrensdauer einfach ermüdete Geflüchtete versuchen ihr Glück in anderen Ländern und kommen dann doch wieder in das erste europäische Land, dass sie betreten haben zurück.

So wie Khaled*. Der junge Iraker, den wir im Wohnheim der NGO Praksis in der Oberstadt von Thessaloniki trafen. Mit Händen und Füssen, aber ziemlich deutlich berichtete er von seiner Flucht: In Deutschland angekommen, aber nach endloser Warterei nicht anerkannt, fuhr er nach Calais. In England hat er Verwandte und das Ziel war klar. Als es aber nach etlichen Versuchen misslang, durch den Tunnel zu kommen, flüchtete er auf verschlungenen Wegen zurück nach Thessaloniki, fast zwei Jahre hat diese Odyssee gedauert. „Hier bleibe ich auf keinen Fall, hier gibt es ja nichts, nicht mal für die Griechen. Ich versuche es wieder“, machte uns Khaled deutlich bevor er dann doch zum Sprachkurs der NGO aufbrach. Die griechischen UnterstützerInnen versuchen der Wirtschaftskrise zum Trotz den Geflüchteten eine Perspektive zu eröffnen und sie – zumindest temporär – in die griechische Gesellschaft zu integrieren. Ob sie hier eine Chance haben, ist nicht zu beantworten. Dennoch sind psychologische Hilfen, Spracherwerb und Orientierung auf jeden Fall Bausteine im Überlebenskampf.

Gruppe im Besuch im Alkyoune Day center for refugees Thessaloniki - Diakonie Katastrophenhilfe.

Besuch im Alkyoune Day center for refugees Thessaloniki – Diakonie Katastrophenhilfe. Foto: Azimi /Psychodakis 2018

Auch die Gewöhnung an ein wieder geregeltes Leben mit Unterkunft, mit gemeinsamen Mahlzeiten und einem strukturierten Tagesablauf trägt zur Stabilisierung besonders der Minderjährigen bei, betonte Mihalis Polyrakis von Praksis. Tatsächlich, ausgerechnet auf den Inseln wie z. B. Kreta gibt es einige Beispiele von Familien oder Einzelpersonen aus Syrien und Afghanistan, die sich eine bescheidene Existenz aufbauen konnten – als Geschäftsinhaber oder als Übersetzer und Sozialhelfer. Aber das sind nur sehr Wenige. Die Heinrich- Böll- Stiftung, so Evangelos Astyrokakis beim Gespräch mit der E4r Projektgruppe, will daher künftig auch berufliche Integration oder berufliche Qualifizierung Geflüchteter voran treiben und war im Expertengespräch sehr an Ideen aus den anderen europäischen Ländern interessiert. Die Auslandsvertretung der Stiftung in Thessaloniki ist bereits jetzt in Griechenland mit „ select respect network“ gut vernetzt. Da das Land von Flüchtenden im Wesentlichen als  Durchgansstation begriffen wird, haben sich noch keine so starken Selbsthilfegruppen Geflüchteter gebildet wie andernorts- außer zur Weiterflucht nach Westeuropa. Weiter gehende Inklusionsstrategien greifen auch noch nicht, weil alle irgendwie wieder weg wollen. Das ist jedoch zurzeit  meist nur noch Illusion, denn die Grenzen sind bekanntlich dicht, Familiennachzug erschwert bis unmöglich und viele bleiben über Monate und Jahre hier einfach hängen. Griechenland und die Geflüchteten schultern aktuell die Konsequenz  zunehmender Abschottungspolitik der Festung (West)Europa.

Wohnungslosigkeit und fehlende Perspektiven zermürben alle Beteiligten

Jorgos Manolis vom Schutzhaus für vulnerale Familien Filoxenio. Foto: Azimi /Psychodakis 2018

Eine Anlaufstelle für besonders vulnerable Personen wurde in einem anderen Stadtteil der mit  gut einer Million BewohnerInnen aus allen Nähten platzenden Stadt eingerichtet. Insgesamt ist die Wohnsituation in Thessaloniki bei allein 120 000 StudentInnen nicht gut. Auf dem Hügel der Reichen „Panorama“, trotzen riesige Villen auf großen Grundstücken allem Notstand. Die Durchschnittsverdiener und die Ärmeren leben in an Plattenbauten erinnernden Häusern der 50er und 60Jahre, stickig im Sommer und, so beklagt ganz Thessaloniki, in zunehmend schmutzigen Straßen. Daran können auch die vielen Rentner nicht ändern, die zur Aufbesserung der durch die Krise geschrumpften Rente Straßen fegen oder Müll sammeln müssen. Dabei hat Thessaloniki eigentlich eine lange Tradition in der Aufnahme von Geflüchteten. Die Stadt war und ist Ziel und Ausgangsstation für Ein-und Auswanderung. Nicht nur die „Gastarbeiter“ verließen die Stadt in den sogenannten „Anwerbejahren“ Richtung Deutschland. Auch schon vorher kam es 1923 nach dem Lausanner Vertrag zur zwangsweisen „Umsiedelung“ von ca. 400 000 muslimisch- türkischen Griechen in die Türkei. Aus der Türkei wurden ca. 1,2 anatolische und Pontusgriechen besonders in die Regionen Thrakien und Mazedonien um Thessaloniki und auf die Chalkidiki Halbinsel zwangsumgesiedelt, in den Geschichtsbüchern beider Länder harmlos als „Bevölkerungsaustausch“ deklariert. Die Neuankömmlinge waren nicht beliebt und wurden außerhalb der Stadtmauern angesiedelt, noch heute kann man verlassene Ruinen dieser kleinen Häuser sehen.

Verlassenes Flüchtlingshaus aus den 1920er Jahren. Foto: Azimi /Psychodakis 2018

Kindern oder schwangere allein Geflüchtete finden 2018 Unterschlupf in von NGO geführten Unterkünften im Stadtgebiet von Thessaloniki. Wie lange noch ist fraglich, denn im Juni läuft das UHCR Programm zur Unterbringung von Geflüchteten ersatzlos aus und soll an die griechische Regierung übergeben werden. „Wir wissen nicht wohin mit den Leuten die schon lange da sind, geschweige denn haben wir Alternativen für die Vielen, die neu flüchten“ berichtete Stefania Stefanovich vom UNHCR. So suchen nun vermehrt wohnungslose Geflüchtete das Hilfsprojekt Alkiyone der Diakonie Katastrophenhilfe auf. Vieles wird nur noch mit Bordmitteln oder durch Spenden gestemmt, so auch die Näh- und Qualifizierungsangebote der ökumenischen Beratungsstelle NAOMI, durch die uns der junge deutsche Sozialarbeiter Paul Esser führte. Dort, wie auch in anderen Freiwilligenorganisationen wird versucht, Geflüchtete durch Beratung und Sprachkurse zu stützen. In die Anlaufstelle für Wohnungslose von Praksis, als eine der wenigen von der Kommune und von der Stavros-Niarchos-Stiftung mit unterstützt, kamen früher viele ArbeitsmigrantInnen aus Bulgarien und syrische und afghanische Geflüchtete. Jetzt beobachten die SozialarbeiterInnen, dass viele Pakistani, aber auch Iraner und Iraker und sehr bald sicher nun auch die Kurden aus Afrin kommen.

Solidarität bleibt, aber rechtsnationale Kräfte machen Stimmung

UNHCR Informationen zur Lage in Griechenland Foto: Azimi /Psychodakis 2018

Das Problem der Unterbringung, Versorgung und Beratung Geflüchteter wird noch verstärkt durch diejenigen, die verzweifelt versuchen, aus den überfüllten Lagern auf den Inseln auf das Festland zu gelangen. Eigentlich dürften nach neuester griechischer Rechtsprechung neu Angekommene nicht mehr dort fest gehalten werden, denn allein auf Lesvos in und um das überfüllte Lager Mytilini, ursprünglich nur für ca. 2000 Menschen gedacht, harren über 8000 Personen unter unzureichenden Lebensbedingungen aus. Trotzdem unterstützen noch viele InselbewohnerInnen die Geflüchteten, obwohl sie wegen der Wirtschaftskrise oft selbst wenig haben. Allerdings kam es in den letzten Wochen zu gewaltsamen Auseinandersetzungen u.a. mit rechtsnationalen Kräften wie der „Goldenen Morgenröte“, die dies verhindern wollten und auch sonst versuchen, jegliche Integration zu unterbinden. „Diese Leute wollen nicht, dass die Flüchtlingskinder in die Schulen gehen, weil sie die Kinder der Wohlhabenden angeblich mit Krankheiten anstecken könnten und machen uns das Leben schwer. Diese Partei sitzt auch mit einer Person im Stadtrat von Thessaloniki“ berichtete Andromachi Besiri von der NGO Antigoni, die spezielle Angebote für schulpflichtige Kinder – und Jugendliche entwickelt haben. Auch um den Integrationsgegnern den Wind aus den Segeln zu nehmen wurden mit Unterstützung der Polikliniken von Praksis alle Kinder inzwischen geimpft. „In dieser Situation wollen alle eigentlich nur weg, zumeist nach Deutschland und es hat schon verzweifelte Versuche gegeben, sich auf Fähren nach Italien zu schmuggeln weil die Festlandsgrenzen dicht sind“ Vasilis Psychodakis von Dialogos, Gastgeber des Fachkräftaustausches zieht eine traurige Bilanz. Pakistaner und Afghanen haben sich im Hafen von Patras um die gefährlichen Plätze unterhalb der LKW geprügelt. So etwas kannte man bislang nur aus Calais, wo Menschen immer wieder  versuchen, nach England zu gelangen.

Neue Fluchtrouten sollen Geflüchtete in den Schengen-Raum führen

Wie das IBB durch eigene Recherchen heraus fand, scheinen sich die Fluchtrouten aktuell wieder zu ändern. Derzeit fliehen – so hat es den Anschein nach bosnischen Quellen – vermehrt Menschen auch über Bosnien-Herzegowina und versuchen, von hier aus in den weiteren Schengen Raum zu gelangen. Nachdem die nördliche Balkanroute dicht ist, wurde eine neue Achse eröffnet: Griechenland, Albanien, Montenegro und Bosnien-Herzegowina. Über diese Länder, so heißt es, werden auch Drogen und Waffen geschmuggelt. Über 1.500 Menschen hatten es schon bis Anfang 2018 versucht, gut die Hälfte wurde an den Grenzen zurück gewiesen. Das Land ist kaum vorbereitet auf Flüchtende, nur bei Sarajevo gibt es ein Aufnahmezentrum mit nur 154 Plätzen.

Andromachi Bessiri (NGO Antigoni ) stellt education program für Jugendliche vor. Foto: Azimi /Psychodakis 2018

Genau wie Griechenland hat auch Bosnien–Herzegowina ohnehin eine große Auswanderung zu beklagen, besonders „Brain- Drain“, also die Auswanderung gebildeter junger Menschen auf Grund der Wirtschaftskrise greift um sich. Aus Griechenland sind auf Grund der Finanzkrise in den letzten Jahren bereits über 400.000 ArbeitnehmerInnen abgewandert. Und nun muss auch noch die große Zahl Geflüchteter mit versorgt werden.

Nordeuropa und insbesondere Deutschland ist das Ziel der meisten temporär Bleibenden, die aktuell kaum Interesse daran haben, sich in Griechenland zu integrieren, wenn die Weiterreise nach Deutschland nicht möglich ist. So wie Akbar* aus Syrien, ein alleinerziehender Vater. Seine Lage ist desolat: Er ist mit 5 Kindern allein bis nach Thessaloniki geflüchtet mit schrecklichen Erlebnissen unterwegs. Das jüngste Kind ist erst 8 Monate alt, seine Frau ist in Syrien umgekommen. Sein Ziel ist Deutschland, hier hat er Schwester und Schwägerin. Aber der Familiennachzug sieht eine solche Zusammenführung nicht vor, auch nicht in einem solchen Härtefall wie bei Akbar. Er wird nun im Schutzhaus der NGO Filoxenio in Thessaloniki von SozialarbeiterInnen unterstützt und betreut, um allein mit den fünf kleinen Kindern einigermaßen klar zu kommen. Seine Perspektive geht aber gegen null im wirtschaftlich angeschlagenen Griechenland und so überlegt er, zurück zu gehen nach Syrien, ins Niemandsland oder sonst irgendwo hin, wenn es mit Deutschland nicht klappt. Auf keinen Fall will er bleiben. „Wir versuchen fast rund um die Uhr, den Familien zu helfen und einen normalen Tagesablauf herzustellen“ beschrieb Jourgos Manolis, Koordinator und Psychologe bei Filoxenio, die Situation in der Einrichtung für besonders vulnerable, also schutzbedürftige Personen. „Viele wollen ihr Zimmer nicht verlassen, andere können im Schutz der Gruppe zumindest gemeinsam kochen, etwas die griechische Sprache erlernen oder ihre Kinder besuchen die griechische Schule.“. Für solche, besonders schutzbedürftigen Familien und Personen gibt es klare EU-Richtlinien zu Unterbringung, Integration und Hilfen, die aber in den wenigsten Ländern – auch nicht in Deutschland – ausreichend umgesetzt wurden, obschon dies bis 2015 verpflichtend war.

Staat und Kirche sind zurückhaltende Akteure: Alte Strukturen leben weiter

Verkaufsstand für Taufpräsente.

Verkaufsstand für Taufpräsente. Foto: Azimi /Psychodakis 2018

Auffallend war für die deutsche Fachkräftegruppe sofort die recht zurückhaltende Präsenz oder – um mit den Worten einer griechischen Teilnehmerin zu sprechen – völlige Abwesenheit des Staates. Fast alle Unterstützungsarbeit, auch in finanzieller Hinsicht wird von sozialen Einrichtungen, zumeist Nicht-Regierungsorganisationen über Spenden oder zeitlich befristete EU-Zuwendungen geleistet. Hinter vorgehaltener Hand beklagten die griechischen UnterstützerInnen und Fachkräfte auch das Versagen der griechisch-orthodoxen Kirche. Während des Fachkräftebesuches war jedenfalls auch keine orthodoxe Hilfseinrichtung auszumachen, alles liegt in der Hand zumeist ausländischer evangelischer oder ökumenischer Gruppen. Einige Metropoliten sind wohl schon aktiv in der Unterstützungsarbeit, andere leider homophob und xenophob, also feindlich gesonnen und arbeiten für eigene Angelegenheiten. „Es gibt keine zentrale Stimme der Kirche hier in Griechenland in diesen Fragen“ ist das übereinstimmende Urteil der griechischen Fachkräfte aus dem Sozialbereich. Und das, obschon die Religion im Alltagsleben der Menschen sehr präsent ist: Überall sieht man in diesen Tagen Taufen, die Sonntagsgottesdienste sind voll. Zwar hat der in Flüchtlingsfragen wesentlich aktivere Papst Franziskus gemeinsam mit dem Ökumenischen Patriarchen und dem orthodoxen Athener Erzbischof 2016 einen eindringlichen Hilfsappell für Flüchtlinge unterzeichnet, danach scheint aber nicht mehr allzu viel passiert zu sein gemessen am großen finanziellen Reichtum der hoch privilegierten griechischen Kirchen.

Junge Leute in Thessaloniki, unbemerkt sitzen zwei Geflüchtete am Pier. Foto: Azimi /Psychodakis 2018

Das größte Problem aber ist die noch immer grassierende Korruption und die Klientelpolitik, so die Analyse der griechischen Projektbeteiligten. „Fakelaki“ und „Metakliti“ kennt jeder Grieche und jede Griechin. Wer etwas erreichen will, sollte einen gut gefüllten Umschlag z.B. für die Behörde mit sich führen und Glück hat, wer Beziehungen zur Regierung pflegt, auch jetzt mit der aktuellen Regierung ist es wohl nicht viel besser geworden. Das verhindert fairen Wettbewerb im Land, auch für kleine Bildungsdienstleiter und Beratungsbüros. Und es wirkt sich auch auf den sozialen Bereich und die Mittel für die Flüchtlingsarbeit aus. Genug engagierte Fachkräfte jedenfalls gäbe es, die bei ausreichender Mittelzuwendung sofort weitere Unterstützungsarbeit leisten könnten. Freiwillige ohne europäischen oder landeseigenen Etat können dies auf Dauer angesichts wieder steigender Flüchtlingszahlen in Griechenland aber wohl kaum bewältigen.

Zumindest hat Ministerpräsident Tsipras von der regierenden Syriza-Partei nun die erneute Öffnung alter, schon geschlossener Flüchtlingscamps zugesagt, um der erwarteten großen Anzahl neuer Hilfesuchender nachzukommen. Es bleibt abzuwarten, ob dies Lippenbekenntnisse sind oder nicht. Und ob das restliche Europa so beschäftigt mit neuen Gesetzen zur Abschreckung und Abweisung Geflüchteter ist, das der Blick für die sich wieder zuspitzende menschliche Katastrophe und für adäquate Lösungen weiter fehlt.

Bericht: Hildegard Azimi-Boedecker, IBB e.V.

*Namen der Geflüchteten geändert.