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Internationales Bildungs- und Begegnungswerk in Dortmund

IBB-Projekt ermöglicht Blindenpädagogen aus der Ukraine eine Hospitation in Marburg

IBB-Projekt ermöglicht Blindenpädagogen aus der Ukraine eine Hospitation in Marburg

Besuch von vier Blindenpädagoginnen und –pädagogen aus der Ukraine erhielt das bundesweite Kompetenzzentrum für Menschen mit Blindheit und Sehbehinderung (blista) in Marburg in der vergangenen Woche: Bei der Hospitation im Rahmen des durch das Auswärtige Amt geförderten IBB-Projekts „Koordinierte Unterstützungsangebote für junge Menschen mit Sehbehinderung in der Ukraine“ nutzten die Gäste die Gelegenheit zu einem intensiven Erfahrungsaustausch.

Die pädagogischen Konzepte an der blista-eigenen Carl-Strehl-Schule für blinde und sehbehinderte Jugendliche, die Beratungsangebote für Eltern und die vielfältigen Aktivitäten des Medienzentrums beeindruckten die Gäste, die in ihrer Heimat in der psychologischen Betreuung und Frühförderung von Kindern mit Sehbehinderungen und Blindheit tätig sind.

Besonders die tastbaren Lehrmaterialien beeindruckten die Pädagoginnen und Pädagogen aus der Ukraine.

Für Lesya Chopik, Blindenpädagogin aus dem westukrainischen Winnyzja, waren vor allem die didaktischen  Materialien und Lehrmethoden interessant: „Es ist erstaunlich, mit welchem Einfallsreichtum und welcher Konsequenz hier schulische Lehrinhalte an die Bedürfnisse von blinden Kindern angepasst werden. In der Ukraine stehen uns in der Regel nur die Schulbücher für sehende Kinder zur Verfügung. Unsere deutschen Kolleginnen und Kollegen dagegen können fördernde Materialien nutzen und sich tatsächlich auf die reine Wissensvermittlung konzentrieren. Ich nehme sehr viele Anregungen mit nach Hause.“

Seit jüngstem werden am blista-Gymnasium auch sehende Kinder aufgenommen. Es war diese umgekehrte Inklusion, die Olesya Iaskewitsch, die Gründerin des Vereins „Mit dem Herzen sehen“ aus Kiew, am meisten verblüffte:

„Es ist so naheliegend und doch so bahnbrechend, weil es die übliche Stigmatisierungskonstellation komplett auflöst“,

staunte sie. „Dass so etwas tatsächlich Realität ist, hat mich wirklich tief beeindruckt. Es tut sehr gut, Ergebnisse von kompetenter und engagierter Arbeit zu sehen. Es motiviert mich sehr.“

„Wäre ich heute Elon Musk begegnet, wäre ich bei Weitem nicht so aufgeregt…“

Am letzten Tag der Hospitation wartete auf die ukrainischen Gäste eine besondere Überraschung. Die Projektpartner hatten zuvor sieben Arbeitshefte zur Diagnostik der Entwicklung von blinden Kleinkindern ins Russische übersetzt und den ukrainischen Frühförderern in einer ersten Auflage von 120 Stück kostenlos zur Verfügung gestellt. Diese Arbeitshefte gehen auf das bekannte Bielefelder Forschungsprojekt unter der Leitung von Prof. Dr. Michael Brambring zurück. In diesem weltweit einmaligen Modell wird die Entwicklung von blinden Kindern nicht durch ihren Rückstand gegenüber sehenden Kindern definiert. Stattdessen wird ihr Entwicklungsstand allein im Verhältnis zu anderen blinden Kindern eingestuft.

Professor Brambring hatte es sich nicht nehmen lassen, die eigens ins Russische übersetzten Arbeitshefte selbst zu präsentieren.

Der inzwischen emeritierte Prof. Brambring hatte es sich nicht nehmen lassen, persönlich nach Marburg zu kommen, um seine ukrainischen Kolleginnen und Kollegen selbst in den Umgang mit diesen speziellen Arbeitsheften einzuführen. Die Begegnung mit der Koryphäe der Blindenpädagogik wurde vor allem für Olesya Iaskewitsch sehr emotional: „Ich habe selbst ein blindes Kind, und ich habe es nach dem Buch von Michael Brambring gefördert und begleitet. Damals schlief ich jeden Abend mit seinem Buch in der Hand ein und wachte damit auf. Prof. Brambring ist für mich eine lebende Legende. Wäre ich heute Elon Musk begegnet, wäre ich bei Weitem nicht so aufgeregt gewesen, wie ich es heute bin, weil ich Michael Brambring getroffen habe.“

Kooperation mit der Geschichtswerkstatt Tschernobyl in Charkiw

Ein positives Resümee ziehen auch Nina Asejewa und Petro Polischtschuk vom Verein „Generierung erfolgreicher Taten“ aus Riwne: „Wir haben viele Tätigkeitsfelder und neue Aufgaben für uns gesehen. Wir müssen unser Medienzentrum um neue Formate erweitern. Bei der Katalogisierung hinken wir noch hinterher. Die meisten Konvertierungsprogramme zur Herstellung von Audiobüchern haben immer noch keine ukrainisch-sprachigen Versionen. Dass es inzwischen barrierefreie PDFs gibt, haben wir erst hier gelernt. Der Unterricht der Brailleschrift für Kinder funktioniert hier viel effektiver. Es gibt noch viel zu tun.“

Unser Foto zeigt die Teilnehmenden am IBB-Projekts „Koordinierte Unterstützungsangebote für junge Menschen mit Sehbehinderung in der Ukraine“ bei der Seminararbeit.

In gemeinsamer Runde wurden jeweils die Eindrücke des Tages zusammengetragen und für die weitere Arbeit in der Ukraine ausgewertet.

Die erste Gelegenheit, ihre neu erworbenen Anregungen weiterzugeben, erhalten die beiden Teilnehmerinnen schon in naher Zukunft. Am 30. und 31. Mai 2019 organisieren sie in Riwne ein Training zur Qualifizierung und Vernetzung von Mitarbeitenden von Medienzentren für Blinde und Sehbehinderte.

Mit dieser letzten Veranstaltung endet auch das gesamte, 2018 begonnene Projekt  „Koordinierte Unterstützungsangebote für junge Menschen mit Sehbehinderung in der Ukraine“. Sieben Seminare und Trainings zur Frühförderung, Orientierung und Mobilität, eine Fachkonferenz zur Herstellung von Druckerzeugnissen und die Hospitation bei blista waren Bestandteile des Projektes, das die IBB gGmbH Dortmund in Kooperation mit der Geschichtswerkstatt Tschernobyl in Charkiw realisiert hat.

Bereits 2017 haben die Projektpartner mit Unterstützung des Auswärtigen Amts das erste Medienzentrum für sehbehinderte und blinde Menschen in Charkiw aufgebaut – und sich bereits damals auf die Erfahrung von blista gestützt. Inzwischen zeigt dieses langfristige Engagement für Inklusion bereits sichtbare Erfolge. Dr. Astrid Sahm, Geschäftsführerin der IBB gGmbH Dortmund:

„Dank der Förderung durch das deutsche Auswärtige Amt konnten wir wichtige Impulse vermitteln und erreichen, dass sich die Bildungschancen von blinden und sehbehinderten Kindern und Jugendlichen in der Ukraine nachweislich verbessert haben.“

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Alle Fotos: Ljubov Negatina – Geschichtswerkstatt Tschernobyl

Weitere Informationen über die Arbeit der Geschichtswerkstatt Tschernobyl in Charkiw finden Sie auch hier.