Bericht

IBB vermittelt tiefe Einblicke in die Situation der Roma in Rumänien

IBB vermittelt tiefe Einblicke in die Situation der Roma in Rumänien

Die Reisegruppe in Cluj-Napoca (deutsch Klausenburg). Die Fotos zu diesem Bericht hat uns Thomas Rüth freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

 

Aufwändig restaurierte Altstadtviertel auf der einen Seite und erschütternde Elendsquartiere auf der anderen – die erste Fachkräfteexkursion nach Rumänien des Internationalen Bildungs- und Begegnungswerks e. V. in Dortmund überraschte die Teilnehmer mit tiefen Einblicken in ein wenig bekanntes EU-Mitgliedsland – und unerwartet krassen Gegensätzen. „Das Leben ist schwer in Rumänien und daher wollen Viele auswandern “, berichtete Reiseleiter Björn Bauernfeind nach seiner Rückkehr. Und: „Die Menschen dort wissen jedoch nichts von Matratzenlagern für zugewanderte Roma und nichts über die zum Teil kriminelle Ausbeutung ihrer Landsleute in Deutschland.“

„Wo verbleibt das Geld?“

Acht Tage lang, vom 15. bis 22. Juni 2014, besuchte die Reisegruppe in Cluj-Napoca (dt. Klausenburg), Sibiu (dt. Hermannstadt), Sighișoara (dt. Schäßburg) und Timișoara (dt. Temeswar) Hilfsprojekte für die ethnische Minderheit der Roma und Bildungseinrichtungen, sprach mit Fachkräften der Sozialen Arbeit, mit dem Berater des Roma-Königs vom Clan der Cioabas, Gheorghe Lefter, oder auch mit Valentin Pepenel von der Roma Partei sowie mit Ion Goracel vom Interkulturellen Institut Temeswar und vielen anderen. Erster Eindruck nach der intensiven Rundreise: „Der Staat ist als Klammer für die gravierenden Probleme der Minderheiten zu schwach“, resümiert Bauernfeind. Hilfen würden oft nicht abgerufen bei der EU, kämen teilweise nicht an bei den Bedürftigen. Die Teilnehmer – Fachkräfte der Sozialen Arbeit aus Dortmund, Gelsenkirchen, Essen, Bochum, Darmstadt und Köln – fragten an allen Stationen immer wieder nach und fanden am Ende doch keine befriedigende Antwort auf die Frage: „Warum geht der Kampf gegen die Armut trotz vieler Fördermittel nur in kleinen Schritten voran? Wo verbleibt das Geld?“

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Roma sind keine einheitliche Volksgruppe

Erste Station der Rundreise war das Zentrum zur Förderung der Roma in Cluj- Napoca, Centrul de Resurse pentru Comunităţile de Romi. Getragen von einer Stiftung setzt sich das Zentrum ein für die berufliche Bildung vor allem von Roma sowie für lokale Entwicklungsprojekte. Roma seien alles andere als eine einheitliche ethnische Minderheit, erfuhren die Teilnehmer dort. Vor Jahrhunderten zugewandert aus West-Indien seien die schätzungsweise 1,5 bis 2 Millionen Roma in Rumänien heute sehr unterschiedlich integriert. Ein kleiner, gut ausgebildeter Teil der Volksgruppe sei in der Mehrheitsgesellschaft angekommen – und nicht mehr als Mitglied der Minderheit erkennbar. Der Nachteil dieser Assimilation: Erfolgsgeschichten oder Rollenvorbilder, die zur Nachahmung anregen, fehlen.

Begegnung mit dem Berater des Roma-Königs

Auf angeblich 500 000 Gefolgsleute stützt sich der selbst ernannte Roma-König Daniel Cioabă, Sohn des 2013 verstorbenen Königs Florin und neben seinem international agierenden Bruder Dorin zuständig für Rumäniens Roma, berichtete sein Berater Gheorghe Lefter der Gruppe. Er trat in seiner Handwerkerkluft vor die Gruppe und berichtete über die „Königsfamilie“ neben der es noch einen „Kaiser“ gibt. Eine Kooperation der Könige und des Kaisers gibt es nicht, vielmehr sind sich alle “spinnefeind“, so der Eindruck der Reisegruppe. Eine einheitliche Stimme fehlt offenbar.

Auch die Roma Partei kann die Lücke in der Lobbyarbeit in Rumänien, EU-Mitgliedsland seit 2007, nicht schließen: Zwar habe sie, wie alle anerkannten 19 nationalen Minderheiten, einen sicheren Platz im Parlament , erfuhr die Reisegruppe. Doch eine kontinuierliche politische Arbeit für die Interessen der Roma, sei in der Verfassung nicht vorgesehen und sie werde offenbar auch nicht geleistet.

Welche Rolle spielt die Religion?

Der gläubige Lefter beklagte, dass sich die Roma weit von Gott entfernt hätten und erklärte seine Sichtweise, wonach sie deshalb in diese Notlage geraten seien. In der folgenden lebhaften Diskussion mit Roger Parvu, Leiter der Evangelischen Akademie Siebenbürgen in Sibiu, der auch für Lefter dolmetschte, wurde diese These heiß diskutiert – zumal die sozioökonomische Situation augenfällig auch auf andere Ursachen zurückzuführen ist.

Tatsache ist jedoch, dass ein Großteil der rumänischen Wohnbevölkerung religiös orientiert ist und Spiritualität eine große Rolle spielt, so die Aussage vieler Gesprächspartner. So gibt es nach offizieller Statistik nur drei bis vier Prozent nicht konfessionsgebundene Menschen in Rumänien. Rumänisch -Orthodoxe stellen mit rund 85 Prozent die große Mehrheit, die Protestanten stellen rund sieben Prozent der Bevölkerung. Doch einheitlich präsentieren sich auch die Gläubigen nicht. Pfingstler und Baptisten, Reformierte und Lutheraner, daneben Katholiken und die große Gruppe von Rumänisch- Orthodoxen – die Reisegruppe fand eine unvermutet große religiöse Vielfalt. „Nach und nach entstand bei vielen der Eindruck, dass es ein Nebeneinander der vielen Volksgruppen gibt, aber kein Miteinander“, berichtete Bauernfeind.

Sanfte Hügel mit sattem Grün prägen das Landschaftsbild. Hinter den bunten Fassaden sind traditionell arbeitende Bauernhöfe. Doch am Dorfrand gibt es auch Holzhütten, in denen Menschen leben.

Erschütterndes Elendsquartier in der Nähe von Sibiu

Ein besonders krasses Beispiel für das Elend der Roma entdeckte die Reisegruppe in Ţichindeal (Ziegental) – bei einem Abstecher auf dem Weg nach Sibiu und unweit dieser Großstadt gelegen. In einem Elendsquartier am Rande des Dorfes lebten die Roma in Blechhütten ohne Wasser und Strom. „Wir haben Kinder gesehen, die mit verklebten Haaren und in Lumpen unterwegs waren“, berichtete Bauernfeind immer noch erschüttert. „Unvorstellbar schmutzig und verwahrlost.“ Das Elijah-Projekt, eine Initiative des österreichischen Jesuitenpaters Georg Sporschill und vor zwei Jahren gestartet, habe zunächst mit einem Brunnen eine Wasserversorgung geschaffen und eine Wäscherei aufgebaut, damit auch einige Arbeitsplätze geschaffen. „Die Menschen haben ihre Kleidung früher so lange getragen, bis es nicht mehr ging und die Kleidung dann verbrannt oder weg-geworfen , da sie keinen Wasseranschluss hatten, um ihre Wäsche auch zu waschen“, erfuhren die Besucher aus Nordrhein-Westfalen. Nachschub wurde jeweils aus Kleiderspenden organisiert.

20140621_144100Wäscherei schafft einige Arbeitsplätze

Die hygienische Situation hat sich nach dem Start des Elijah-Projektes und der Schaffung des Wäscherei-Betriebs aber längst noch nicht hinreichend verbessert. Der Schulbesuch ist Pflicht in diesem Projekt, in einem Kinderzentrum wird Hausaufgabenhilfe geleistet. Doch bei allem Engagement stoßen die Projektleiter immer wieder an Grenzen: „Die Familien sind sehr kinderreich und die Kinder zeigen ein auffällig großes Anlehnungsbedürfnis an die Mitarbeiter des Projekts“, berichtet Bauernfeind. Offenbar fehle es an Zuwendung, an emotionaler Wärme und Stabilität in den Familien.

Sind Armut und Diskriminierung ein ethnisches oder soziales Problem?

Das besonders krasse Beispiel des Elijah-Projekts warf für die Fachkräfte – unter ihnen ein Streetworker, Lokalpolitiker, ein Ethnologe und Ehrenamtliche aus der Sozialarbeit mit Zuwanderern – viele Fragen auf. „Ist dieses Elend ein ethnisches oder soziales Problem?“, lautete eine Frage, die später an allen Stationen wieder und wieder gestellt wurde. Für eine große Zahl von Menschen sei die Lebenshaltung gemessen am Einkommen sehr teuer: Ein Liter Milch koste einen Euro – bei einem durchaus üblichen Monatsgehalt von 200 bis 300 Euro, verdeutlichte Bauernfeind. Die Infrastruktur – Straßen, Strom- und Wasserversorgung – sei in den ländlichen Gegenden Siebenbürgens schlecht und lückenhaft. „Die entsprechenden Gesetze gegen Diskriminierung der Roma und zum Ausbau der Hilfen sind vorhanden und für den Ausbau der Infrastruktur stehen wohl auch Mittel zur Verfügung“, erfuhr die Gruppe. Doch offenbar kommt das Geld nicht dort an, wo es am dringendsten gebraucht wird. Eine ausreichend große Elite der Roma, die sich selbst organisiert und Projekte koordiniert, existiere nicht. „Wer aus der Gruppe der Roma aufsteigt, will schnell diese Kreise verlassen“ wurde von Insidern oft gesagt. Und Diskriminierung versperrt weiterhin den meisten Roma den Weg zu höherer Bildung und Wohlstand. Es gibt schon Arbeitsplätze in Rumänien, nur eben nicht für Roma – weil diesen oft die dafür nötige Bildung fehlt – ein Teufelskreis.

20140621_132935Reichtum – protzig zur Schau gestellt

Die Gruppe entdeckte aber auch die attraktiven Regionen, zum Beispiel in Sighişoara, einer einst von Siebenbürger Sachsen gegründeten Stadt: die Städte in Siebenbürgen und das Westbanat gehören zu den ökonomisch erfolgreichsten Gegenden des Landes. Reizvolle Altstadtquartiere, in denen die Einflüsse der Habsburger und die architektonischen Spuren der kommunistischen Zeit oftmals nebeneinander zu entdecken waren. Kneipenviertel, in denen moderne Restaurants und hippe Bars zum Besuch einladen, und etwas außerhalb der Altstädte, so in Rekaş bei Timişoara, auch die eigenwilligen Paläste reicher Roma. „Teilweise wird Reichtum, wenn er da ist, sehr zur Schau gestellt“, so die Beobachtung der Reisegruppe. „Das ist insbesondere bei den Roma sehr wichtig.“ Und auch auf den Straßen wird der Wohlstand gern demonstriert: Zum Beispiel durch Luxuslimousinen und schwere Geländewagen, die nicht nur wegen der schlechten Landstraßen angeraten sind.

Britisches Königshaus fördert Erhalt alter Handwerkskunst in dörflichen Strukturen

In Viscri (deutsch Weißkirch) besuchte die Reisegruppe das Projekt des Mihai Eminescu- Trusts zur Bewahrung traditioneller Handwerkskunst und alter dörflicher Strukturen, das seit den 1990er Jahren die Unterstützung durch das britische Königshaus, insbesondere Prinz Charles, genießt. Durch das auch touristisch vermarktete Projekt wird auch die Landflucht in die großen Städte eingedämmt. Bei einer traditionellen Kutschfahrt erkundete die Gruppe die ursprüngliche Landschaft und besuchte eine Ziegelei, in der in Handarbeit Steine gebrannt werden. Der Ziegelbrenner, ein etwa 50-Jähriger gelernter Maurer, erzählte voller Stolz: „Diese Arbeit liegt mir im Blut – schon mein Großvater hat Steine gebrannt!“ Tatsächlich waren viele Roma in früheren Jahrhunderten bekannt für ihr handwerkliches Geschick, das von Generation zu Generation weitergegeben wurde. Nicht wenige waren sesshaft. Erst durch die Industrialisierung ging die wesentliche Einkommensquelle nach und nach verloren. Mit der finanziellen Förderung aus Großbritannien entstanden die alten Handwerksbetriebe neu – und schaffen Arbeitsplätze, die auch den Angehörigen der Roma-Minderheit angeboten werden. Bildung spielte in Viscri stets eine große Rolle. Die Schulpflicht habe in Viscri seit Anfang des 18. Jahrhunderts eine lange Tradition, erzählten die Gastgeber nicht ohne Stolz. Eine kleine deutsche Minderheit, Ungarn, Rumänen und Roma leben nicht mit- sondern nebeneinander. Ethnische Konflikte gab es seit Jahrhunderten nicht, vielleicht gerade wegen der Wahrung der eigenen Communities.

Praxisnahe Ausbildung im Burghostel

Auf Verständigung setzt das interethnische Jugendbildungszentrum in Sighişoara. Dort und im direkt angegliederten Burghostel, werden ebenfalls vor allem Roma beruflich ausgebildet, beschäftigt und Projekte zur kulturellen Vielfalt verwirklicht.

Zum Abschluss ging es nach Stanciova, in der Nähe von Timişoara. Beim Besuch des Bauernhofs der Borghoffs, des deutsch-rumänischen Ehepaares Thomas und Teodora, gab es nicht nur rumänische Hausmannskost – gefüllte Eier, Suppe, Hühnchenschnitzel und Wildschwein – sondern auch Gelegenheit zur Verarbeitung der vielfältigen Eindrücke. Warum ist die Lage in Rumänien so schwierig – obwohl es doch schon viele gute Ansätze zur Integration der Roma-Minderheit gibt? Welche Anregungen für die Arbeit daheim in Nordrhein-Westfalen kann man mitnehmen und vor allem: Sitzen die jungen Rumänen „auf gepackten Koffern“, wie man hierzulande vermutet?

20140620_093633Die Schattenseiten der Zuwanderung sind nicht bekannt

Westeuropa gelte für viele schon als ein Synonym für die Hoffnung auf ein besseres Leben, erfuhr die Reisegruppe aus vielen Gesprächen mit unterschiedlichen Partnern. Rumänien mit seinen rund 21 Millionen Einwohnern ist seit vielen Jahren Auswanderungsland. Doch die beliebten Ziele liegen eher in Südeuropa: Spanien und Italien sind begehrt, schon wegen der dort vorherrschenden romanischen Sprache. „Das deckt sich auch mit den Erfahrungen, die unsere Teilnehmer gemacht haben“, schilderte Björn Bauernfeind. „Demnach kommen sehr viele Zuwanderer mit Herkunftsland Rumänien über Spanien nach NRW. Weil die Krise dort die Arbeitsmöglichkeiten besonders für Roma erschwert hat, ist Deutschland dann das bevorzugte Drittland – obwohl es eigentlich wegen der schweren Sprache, des kalten Klimas und der strengen Vorschriften im Vergleich zu den Mittelmeerländern deutlich weniger attraktiv erscheint.“ Und über die kriminellen Auswüchse, die vielen Städten in Nordrhein-Westfalen Sorgen machen – Ausbeutung der Neu-Zuzügler durch Mietwucher, Zwangs-Prostitution und die Eingliederung in Bandenstrukturen – sei in Rumänien so gut wie nichts bekannt.

Türen öffnen, die Touristen verschlossen bleiben: Die Fachkräfte-Exkursionen des IBB ermöglichen Begegnungen mit Betroffenen und Hilfsorganisationen auf Augenhöhe.

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