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Internationales Bildungs- und Begegnungswerk in Dortmund

Online-Kurs zeigte Teilnehmenden aus fünf Ländern „Erinnerungskultur von innen“

Online-Kurs zeigte Teilnehmenden aus fünf Ländern „Erinnerungskultur von innen“

Wie unterscheidet sich die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg in Belarus, Deutschland, der Ukraine, Russland und Polen? Warum führen nationale Narrative zu Konflikten und wie werden sie in aktuellen Konflikten instrumentalisiert? Diesen Fragen gingen 20 – aus 114 Bewerbungen ausgewählte – Teilnehmende des Online-Kurses „Erinnerungskultur von innen: Wie erinnern wir an den Zweiten Weltkrieg in Belarus, Deutschland, der Ukraine, Polen und Russland“ vom 30. November bis 4. Dezember 2020 auf den Grund. In internationaler Zusammenarbeit diskutierten sie auch über Methoden zur Weiterentwicklung der Erinnerungsarbeit mit digitalen und analogen Mitteln und entwickelten Ideen für eigene Projekte.

Bei der virtuellen Reise durch die Erinnerungslandschaften Deutschlands, Russlands, Belarus, der Ukraine und Polens hatten die Veranstalter – die IBB gGmbH in Dortmund und die IBB „Johannes Rau“ Minsk – an jedem Tag einen anderen Länderschwerpunkt gesetzt, um mehr über die nationalen Narrative zu erfahren. Der Länderschwerpunkt wurde jeweils in einen gesamteuropäischen Kontext gesetzt, damit die Teilnehmenden auch multiperspektivische Ansätze in der Geschichtsarbeit kennenlernen konnten.

Der erste Tag widmete sich vor allem dem Austausch und dem Kennenlernen unter den Teilnehmenden. Dabei wurde ein Fokus daraufgelegt, wie sich die nationalen Narrative zusammensetzen und welche Inhalte dominieren. Um diese in einen größeren Kontext setzen zu können, beschrieb Eva Kovacs vom Wiener Wiesenthal Institut für Holocaust Studien, welche Chancen eine gesamteuropäische Erinnerungskultur bietet und welche Herausforderungen sie enthält. Im Anschluss folgte eine Diskussion zur Erinnerungskultur in Deutschland, wo staatliche Institutionen, Kirchen und NGO mit- und nebeneinander methodisch vielseitig an den Zweiten Weltkrieg erinnern. Die Referentinnen arbeiteten besonders die Unterschiede zu den nationalen Narrativen in Polen und Belarus heraus und beschrieben auch, welche Mittel analog und digital genutzt werden, um historische Ereignisse sachlich und faktisch richtig darzustellen.

Die Teilnehmenden interessierten sich besonders für neue Darstellungsformen und erweiterten ihre Kompetenzen am zweiten Tag mit Unterstützung der Referentinnen Evelina Rudenko und Natalija Josef vom Internationalen Memorial. Sie gaben praktische Anleitungen zur Produktion und Nutzung von Videos in der Bildungsarbeit sowie für den Einsatz von Podcasts und Cartoons.

Ein wichtiges Muster diskutierten die Seminarteilnehmenden am dritten Seminartag: Christian Ganzer, Historiker aus Leipzig, sowie Aljaxej Bratatschkin, Historiker und Leiter des Programms Public History am European College of Liberal Arts in Belarus (ECLAB), zeigten auf, wie in der aktuellen Situation in Belarus zurzeit von Seiten der Opposition und der Staatsführung Begriffe aus der Zeit des Nationalsozialismus zitiert und instrumentalisiert werden. Tetiana Iwantschenko, Doktorandin an der TU Dresden und Journalistin aus der Ukraine, ergänzte anhand von Beispielen, dass auch während des Euromaidans in der Ukraine 2013 und 2014 Symboliken aus dem Zweiten Weltkrieg übersteigert verwandt wurden. In der Diskussion mit den Zuhörenden wurde deutlich, dass dieses Phänomen auch in anderen Ländern zu beobachten ist. Warum es in Konfliktfällen zum Rückgriff auf emotional aufgeladene Begriffe aus der NS-Zeit kommt, und ob dies von den Akteuren konflikteskalierend oder deeskalierend eingesetzt wird, bedarf noch weiterer Forschung.

Eine vielschichtige Ortserkundung ermöglichte die virtuelle Führung zum Gedenkort Malyj Trostenez geleitet durch Aliaksandr Dalhouski von der Geschichtswerkstatt „Leonid Lewin“ Minsk. In einem Video und anschließenden Diskussionen wurde deutlich, wie schwierig es ist, an einem Vernichtungsort allen Opfern gerecht zu werden. Eine weitere virtuelle Führung gestaltete Anatolij Podolskij am vierten Tag durch Babyn Jar in der Ukraine. Für viele der Teilnehmenden waren diese virtuellen Führungen der Höhepunkt des Seminars. So kommentierte eine Teilnehmende in ihrem Feedback: „Die digitalen Führungen erlaubten mir Plätze zu sehen, die ich ansonsten nur unter größten Schwierigkeiten hätte besuchen können.“ Um noch mehr Personen die Möglichkeit zu geben, diese Erinnerungsorte digital zu besuchen, werden die Video-Führungen in Kürze auf dem Youtube-Kanal des Digital History Network veröffentlicht.

In einer Diskussion zu „Gedenkstätten zwischen klassischer und digitaler Arbeit“ diskutierten Anton Drobowitsch, Institut für Nationale Erinnerung in der Ukraine, Eva Deinert vom Bayerischen Rundfunk und Tomasz Cebulski, Guide bei der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau, die aktuellen Veränderungen in der Arbeit von Gedenkstätten. Sie zeigten Beispiele von digitalen Formaten, wie z.B. Augmented Reality (AR) und Virtual Reality (VR) und wie sie Einzug in die Bildungsarbeit von Gedenkstätten halten. Dabei betonten alle Expert*innen, dass diese digitalen Produkte nur Ergänzungen der klassischen Bildungsangebote sein können. „Sie können eine reale Führung durch einen menschlichen Guide nicht ersetzen“, zeigte sich Tomasz Cebulski überzeugt.

Am fünften und letzten Tag lag der Schwerpunkt auf Multiperspektivität im Museum. Dabei besuchten die Teilnehmenden das Museum des Zweiten Weltkriegs/Muzeum II Wojny Światowej und das Europäische Solidarnosc-Zentrum /Europejskie Centrum Solidarności in Danzig/Gdańsk virtuell. Lukasz Jasinski und Matt Subieta gaben Einblicke in die Entstehung des Museums und erläuterten, wie visuelle Mittel genutzt werden. Dabei wurde auch diskutiert, wie multiperspektivische Ansätze in Konflikte mit nationaler Erinnerungspolitik geraten können. Dabei betonte Lukasz Jasinski: „Ein multiperspektivischer Ansatz im Museum hilft den Besucherinnen und Besuchern aus dem Ausland, die sich beispielsweise nicht speziell für die Geschichte Polens interessieren, aber ihre eigene Geschichte kennen, die nationalen Narrative zu verstehen“.

Insgesamt erhielten die Teilnehmenden von 22 Experten aus fünf Ländern tiefe Einblicke in unterschiedliche Aspekte der Erinnerungskultur an den Zweiten Weltkrieg. Die virtuelle Studienfahrt bildet zudem die Grundlage für eigene Projekte, die die Teilnehmenden im Anschluss an das Seminar in internationalen Teams produzieren werden. Geplant sind Videos mit Schüler*innen, Artikel zu unterschiedlichen Bildern von Tätern und Ausschnitte aus sogenannten History Walks (Online-Führungen durch die jeweiligen Städte).

Veranstalter des Online-Kurses waren:

Das Internationale Bildungs- und Begegnungswerk Dortmund (IBB gGmbH) und die IBB „Johannes Rau“ Minsk in Zusammenarbeit mit der Stiftung zur Entwicklung der Brester Festung (Belarus), Internationalem Memorial (Russland), KARTA Stiftung (Polen) und NGO Institute of Social Strategies and Initiatives (Ukraine).

Der Veranstaltung wurde finanziell unterstützt durch das Auswärtige Amt.

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