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Internationales Bildungs- und Begegnungswerk in Dortmund

Wanderausstellung „Vernichtungsort Malyj Trostenez. Geschichte und Erinnerung“ in Ludwigsburg eröffnet

Wanderausstellung „Vernichtungsort Malyj Trostenez. Geschichte und Erinnerung“ in Ludwigsburg eröffnet

In Ludwigsburg, einem Ort, der sowohl mit den Opfern des Holocaust als auch Tätern der NS-Zeit in besonderer Weise verbunden ist, wurde die Wanderausstellung „Vernichtungsort Malyj Trostenez. Geschichte und Erinnerung“ am Mittwoch, 23. September 2020, offiziell eröffnet. Bis zum 24. November 2020 ist sie an ihrem 30. Ausstellungsort – im Staatsarchiv des Landes Baden-Württemberg – zu sehen.

„Diese Ausstellung an diesem Ort ist ein klares Statement der Stadt Ludwigsburg“,

sagte Oberbürgermeister Matthias Knecht in seinem Grußwort. In Ludwigsburg – etwa 20 Kilometer nördlich von Stuttgart – ist seit 1958 die Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen beheimatet. Die kurz Zentralstelle genannte Behörde steuerte Ermittlungen im Zusammenhang mit Kriegsereignissen gegenüber der Zivilbevölkerung – und sammelte im Laufe der Zeit rund 800 Meter Akten über Täter – darunter auch Prozessakten zu den Ereignissen in Minsk. Eine zweite, lange Zeit unbekannte Verbindung, entstand durch die Deportation jüdischer Bürgerinnen und Bürger aus dem Stuttgarter Raum nach Theresienstadt. Denn in 312 Fällen führte ihr Weg weiter nach Minsk und Malyj Trostenez, wo sie den Tod fanden. Die Wanderausstellung „Vernichtungsort Malyj Trostenez. Geschichte und Erinnerung“ ist nach Ansicht von Oberbürgermeister Knecht hochaktuell. Sie thematisiere die lebensgefährlichen Folgen einer Politik, die einer Gruppe von Menschen die Grundrechte abspricht und die Religionsfreiheit verwehrt. Sie sei nicht nur wegen der politischen Entwicklungen in Belarus hochaktuell, sondern auch angesichts einer Zunahme rechtsextremer Gewalttaten in Westeuropa.

Professor Barbara Traub, Vorstandssprecherin der israelitischen Religionsgemeinschaft Württembergs, dankte für das vereinte, überwiegend ehrenamtliche Engagement, das den wenig bekannten Vernichtungsort Malyj Trostenez in Westeuropa ins öffentliche Bewusstsein bringt. Auch in Baden-Württemberg sei Malyj Trostenez bisher kaum ein Begriff gewesen. Dabei gebe es bei näherem Hinsehen auch Spuren aus Stuttgart und den kleinen jüdischen Gemeinden rundum, die zu den Massengräbern am Stadtrand von Minsk führen. Die Deportationszüge aus dem Raum Stuttgart steuerten zwar zunächst Theresienstadt an. Ein Blick in die Akten in Theresienstadt allerdings offenbare, dass die Weiterfahrt für etliche Passagiere nach Minsk und Malyj Trostenez führte. Gerade der Vernichtungsort Malyj Trostenez sei ein Beispiel für die mit bürokratischer Genauigkeit geplante Ermordung von Millionen Menschen. Da die Wanderausstellung in den Tagen des jüdischen Neujahrsfestes eröffnet wird, das traditionell als Zeit genutzt wird, um Konflikte auszuräumen und mit Mitmenschen ins Reine zu kommen, könne sie angesichts rechtsextremer Tendenzen möglicherweise auch helfen, wieder auf den richtigen Weg zu kommen und den gemeinsamen Wertekompass neu zu eichen.

Dr. Astrid Sahm, Geschäftsführerin der IBB gGmbH Dortmund, beschrieb die Entstehung der Ausstellung in internationaler Zusammenarbeit, was auch die deutsch-belarussischen und europäisch-belarussischen Beziehungen positiv beeinflusst habe. Sie erinnerte daran, dass Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier 2018 als erstes deutsches Staatsoberhaupt zur Eröffnung des zweiten Bauabschnitts des Gedenkortes Trostenez nach Belarus gereist war. Schon über die vielen Jahre der Vorbereitung habe die gemeinsam erarbeitete Ausstellung auch einen Einfluss auf die Erinnerungskultur in Belarus ausgeübt. „Plötzlich fanden sich ganz erstaunliche Informationen in Kellern und auf Dachböden, die näher Aufschluss gaben über die Ereignisse während der deutschen Besatzungszeit.“ Wie wichtig ein fundiertes Wissen über geschichtliche Ereignisse ist, sei vielen auch in der aktuellen politischen Situation deutlich geworden: So würden friedliche Demonstranten in Belarus als Nazi-Kollaborateure gebrandmarkt und Streikkomitees in den Betrieben als Gestapo. Umgekehrt verglichen Demonstranten das staatliche Gefängnis Okrestino mit Ausschwitz und bezeichneten die Sicherheitskräfte als „faschistische Henkersknechte“. „Es werden in diesen Tagen starke Bilder aufgefahren“, sagte sie. Der fragwürdige Umgang mit historischen Zusammenhängen lasse auf einen großen Bedarf an Bildungsarbeit schließen, um ein friedliches Zusammenleben in der Zukunft zu ermöglichen.

Elfriede Samo vom Förderverein Zentrale Stelle beschrieb Malyj Trostenez als einen Ort, der von der deutschen SS in der eindeutigen Absicht geschaffen worden war, jüdisches Leben zu vernichten. Von den ersten Ankündigungen über die Gleichschaltung der Verbände und Registrierung bis zur Vermögensabgabe der Auswandernden habe es über viele Jahre eine kaltblütige Planung gegeben. „Der Tod ist ein Meister aus Deutschland“, zitierte sie aus Paul Celans Gedicht „Todesfuge“ und erwähnte historische Fakten, die „immer wieder der Erinnerung entfliehen“.
Adam Kerpel-Fronius, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas und per Videozugeschaltet, führte anschließend in die Ausstellung ein. Sie stellt sieben Biografien von verschiedenen Opfergruppen aus verschiedenen Ländern in den Mittelpunkt und thematisiert auch die unterschiedlichen Erinnerungskulturen. „Die Arbeit an der Ausstellung hat auch gezeigt, dass Erinnerungskultur immer in Bewegung ist: Manchmal zwei Schritte rückwärts, und manchmal drei Schritte vorwärts.“ Für die Zukunft äußerte er die Hoffnung, dass die Ausstellung einen festen Platz erhält auf dem Gelände des Gedenkortes Malyj Trostenez, wo Erläuterungen zum geschichtlichen Hintergrund bislang noch fehlen.

Der Förderverein Zentrale Stelle hat ein Begleitprogramm zur Ausstellung organisiert. Vorsitzender Dr. Hans Pöschko setzt dabei besonders auf Begegnung – mit den entsprechenden Corona-Vorsichtsmaßnahmen. Er erwähnte auch die Möglichkeit, dass sich Interessierte in Ludwigsburg auch über die Dauer der Ausstellung hinaus über die juristische Aufarbeitung der Kriegsverbrechen in Belarus informieren können. Denn nach Abschluss der praktischen Ermittlungsarbeit, die noch vor wenigen Jahren zu Anklagen gegen zwei über 90-jährige ehemalige SS-Männer geführt hatte, soll die Zentralstelle für die Forschung und Information geöffnet werden.

Die Ausstellung ist montags bis donnerstags von 9 bis 16.30 Uhr, freitags von 9 bis 15.30 Uhr geöffnet und samstags, sonntags und an Feiertagen geschlossen. Donnerstags werden Führungen angeboten. Anmeldungen sind an den Vorsitzenden des Fördervereins Zentrale Stelle, Dr. Hans Pöschko, zu richten.

Ort: Staatsarchiv, Arsenalplatz 3, 71638 Ludwigsburg.

Weitere Veranstaltungen:
Dienstag, 6. Oktober 2020: Vortrag von Dr. Babette Quinkert „NS-Massenverbrechen in Belarus 1941 -1944“
Donnerstag, 22. Oktober 2020: „Komm und sieh“. Anti-Kriegsfilm von Elim Klimov.
Dienstag, 3. November 2020: Kriegsverbrecher aus Württemberg in Belarus – Vortrag von Elfriede Samo, Förderverein Zentrale Stelle
Dienstag, 17. November 2020: Die Versöhnungsarbeit des Internationalen Bildungs- und Begegnungswerks Dortmund in Belarus. Vortrag von Aliaksandr Dalhouski, stellvertretender Leiter der Geschichtswerkstatt „Leonid Lewin“ Minsk
Dienstag, 24. November 2020: Finissage der Ausstellung „Vernichtungsort Malyj Trostenez. Geschichte und Erinnerung“

Der Südwestrundfunk hatte im Vorfeld der Ausstellungseröffnung am Mittwoch, 23. September 2020, im Journal am Mittag einen Hörfunkbeitrag veröffentlicht, der in der Mediathek zum Nachhören bereitsteht.

Unser Foto zeigt den Wald von Blagowschtschina.