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Wanderausstellung „Vernichtungsort Malyj Trostenez. Geschichte und Erinnerung“ in Lüneburg eröffnet

Wanderausstellung „Vernichtungsort Malyj Trostenez. Geschichte und Erinnerung“ in Lüneburg eröffnet

In Lüneburg, einer Kleinstadt südöstlich von Hamburg, die sich ihrer Mitverantwortung für die Verbrechen während des Zweiten Weltkriegs aktuell in besonderer Weise stellt, ist die Wanderausstellung „Vernichtungsort Malyj Trostenez. Geschichte und Erinnerung“ bis zum 4. November 2018 zu sehen.

Am Dienstag, 2. Oktober 2018, wurde die Ausstellung durch Bürgermeisterin Christel John und den Vizepräsidenten der Leuphana-Universität Christian Brei im Libeskind-Auditorium der Universität eröffnet. Prof. Dr. Ulf Wuggenig, Lehrbeauftragter der Leuphana-Universität, und Uwe Neumärker, Direktor der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas, betonten in ihren Beiträgen vor mehr als 50 Gästen, dass die Geschichte der Stadt durch Täter und Opfer enger als bisher öffentlich wahrgenommen mit dem Vernichtungsort Malyj Trostenez verbunden ist.

So befindet sich der Ausstellungsort – die Leuphana-Universität Lüneburg – auf dem Gelände jener früheren Kaserne, in der die 110. Infanterie-Division stationiert war. Diese Division steht mit einem der schwersten Kriegsverbrechen der Wehrmacht im heutigen Belarus in Verbindung. In Osaritschi hatte die 110. Infanterie-Division als Teil der 9. deutschen Armee im Frühjahr 1944 rund 50.000 Zivilisten in drei Todeslagern interniert. Mindestens 9.000 Lagerinsassen wurden planvoll ermordet.

Die 110. Infanterie-Division selbst war am 7. Juli 1944 bei Minsk von der Roten Armee besiegt worden. Beim Rückzugsversuch sind die Soldaten auch an Malyj Trostenez vorbeigezogen. Schon 1968, im Zuge des Hamburger Prozesses, hatte die lokale Tageszeitung einmal Malyj Trostenez erwähnt – jenen Vernichtungsort, der in Westeuropa bis heute noch immer kaum bekannt ist.

Vizepräsident Christian Brei erläuterte, dass die Universität in ihrer Architektur und in ihrer Bildungsarbeit in vielfältiger Weise auf diese Vorgeschichte Bezug nehme. Die Wanderausstellung „Vernichtungsort Malyj Trostenez. Geschichte und Erinnerung“ sei ein wichtiger Beitrag zu einer kritischen Auseinandersetzung mit der eigenen Ortsgeschichte. Bürgermeisterin Christel John beschrieb die heute intensivierte Erinnerungsarbeit der Stadt, die am 9. November die neugestaltete Synagogen-Gedenkstätte eröffnet und am 10. November ein lokales Forum zur Erinnerungskultur gründet.

Die lokale Erinnerungskultur hat gegenüber den Nachkriegsjahren einen tiefgreifenden Wandel vollzogen. Für die Gefallenen der 110. Infanterie-Division wurde bereits im Jahr 1960 ein Denkmal in Lüneburg errichtet. Ihr Einsatz im Osten wurde allerdings beschönigt. Die Gefallenen wurden als Opfer des Krieges betrauert, stellte Prof. Dr. Wuggenig fest. Erst vor wenigen Wochen beschloss der örtliche Kulturausschuss, einen neuen erläuternden Begleittext am Gedenkstein zu platzieren. Dies ist wesentlich das Verdienst des lokalen Arbeitskreises Gedenkkultur, in dem auch die Universität mitarbeitet.

Dieses Foto aus Osaritschi ist auf der neuen Stele erstmals in Lüneburg zu sehen und wird Teil der Wanderausstellung. Es zeigt Bewohnerinnen und Bewohner des Ortes Osaritschi in Belarus und erinnert an das ehemalige Todeslager dort.

Mitglieder des Arbeitskreises haben auch die Schicksale der fünf jüdischen Lüneburger Lucie Baden-Behr, Paula Horwitz, Regine Behr und der Brüder Ernst und Otto Levy recherchiert, die über Hamburg und Frankfurt nach Minsk deportiert worden sind und höchstwahrscheinlich in Maly Trostenez Ende Juli 1944 ermordet wurden. Das tragische Schicksal von Lucie Baden-Behr, die bereits eine Fahrkarte für die Flucht nach Australien in der Tasche hatte und dennoch ihrer Deportation  über Hamburg nach Minsk nicht entkommen konnte,  ist auf der regionalen Stele ausführlicher beschrieben.

Eine weitere zusätzliche Stele informiert über die deutschen Verbrechen im Todeslager Osaritschi. Diese neue Ausstellungswand, von der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas erstellt, wird auch an den noch folgenden Ausstellungsorten gezeigt. Damit soll neben Malyj Trostenez ein weiterer fast vergessener Vernichtungsort auf belarussischem Gebiet ins öffentliche Bewusstsein gerückt werden.

„Weißrussland hat unter dem deutschen Vernichtungskrieg im Osten zwischen 1941 und 1944 wohl am meisten gelitten“,

betonte Uwe Neumärker, Direktor der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Erinnerung.

„Auf seinem Territorium sind laut staatlichen Angaben über 2,3 Millionen Menschen umgekommen.“

Uwe Neumärker skizzierte auch die grausamen Details, die über die Morde am Vernichtungsort Malyj Trostenez bekannt sind. Er beschrieb zudem die dankbare Reaktion von Angehörigen, die erst seit wenigen Jahren Sicherheit erhalten können, wo ihre Vorfahren ihre letzte Ruhestätte gefunden haben. Dies sei eine wichtige Motivation, sich für die Gestaltung dieser Erinnerungsorte zu engagieren.

Historiker Dr. Alexander Dalhouski (2.v.l.) vermittelt Hintergrund-Informationen zur Ausstellung. 

Die Namen der meisten belarussischen Opfer können – im Unterschied zu den akribisch in Listen erfassten Deportierten aus dem damaligen Deutschen Reich – nicht mehr ermittelt werden, denn die Morde in den besetzten sowjetischen Gebieten wurden nicht dokumentiert. Ziel der nun in Lüneburg eröffneten Wanderausstellung „Vernichtungsort Malyj Trostenez. Geschichte und Erinnerung“ sei es, so Uwe Neumärker, den Opfern ein Gesicht zu geben und weitere Namen und Biografien für die Nachwelt zu sichern. Sein Wunsch sei es, dass die belarussisch-deutsche Ausstellung auch den Grundstein für ein Informationszentrum am Gedenkort Trostenez bildet.

Die neue Infotafel, die am Gedenkstein zur Erinnerung an die Gefallenen der 110. Infanterie-Division in Lüneburg aufgestellt werden soll, schafft eine weitere Verbindung zwischen Lüneburg und Minsk. Denn die Tafel trägt ein Zitat von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier aus seiner Rede am Gedenkort Trostenez in Minsk am 29. Juni 2018:

„Es hat in Deutschland lange, viel zu lange gedauert, sich an diese Verbrechen zu erinnern. Lange, zu lange haben wir gebraucht, uns zur Verantwortung zu bekennen. Heute besteht die Verantwortung darin, das Wissen um das, was hier geschah, lebendig zu halten.“

Die Öffnungszeiten in Lüneburg:

Montags, dienstags, donnerstags und freitags von 10 bis 13 Uhr und von 14 bis 18 Uhr, samstags von 10 bis 13 Uhr. Mittwochs geschlossen.

Die Träger der Ausstellung sind:

Die Ausstellung wird gefördert durch den Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. und das Auswärtige Amt.

Gestaltet wurde die Ausstellung von der  Berliner Agentur LINKSBÜNDIG.

Die zweisprachige Wanderausstellung (deutsch/ russisch) wurde am 8. November 2016 erstmals in Hamburgeröffnet und wird seitdem zeitgleich in Belarus und Deutschland gezeigt.

Einen Medienbericht über die Ausstellung in Lüneburg finden Sie hier.

Weitere Informationen zum Begleitprogramm in Lüneburg finden Sie hier.

Ein Youtube -Video der Ausstellungs-Vernissage in Hamburg finden Sie hier.

Der Katalog zur Ausstellung kann gegen eine Schutzgebühr in Höhe von 10 Euro hier bestellt werden. 

Weitere Informationen über die Gedenkstätte Trostenez finden Sie hier.