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Internationales Bildungs- und Begegnungswerk in Dortmund

Eindrucksvolle Lehrerfortbildung in Majdanek und Ostpolen: „Misstraut den Grünanlagen!“

Eindrucksvolle Lehrerfortbildung in Majdanek und Ostpolen: „Misstraut den Grünanlagen!“

Die warme Ausstrahlung der Farben in der malerischen Altstadt von Zamość im Sonnenlicht. Die eisige Kälte und Beklemmung, die den Besucher ergreift, wenn er immer tiefer in die schließlich meterhohen, symbolisierten Massengräber des Mahnmals Bełżec  schreitet, die an den letzten Weg hunderttausender Mordopfer der Nazis erinnern. Es waren kontrastreiche Eindrücke, die die Fortbildung für Lehrerinnen und Lehrer sowie Akteure der Jugendarbeit zur Erinnerungsarbeit in Ostpolen hinterließ. Das IBB Dortmund war vom 23. bis 28. Mai 2017 mit 22 Teilnehmerinnen und Teilnehmern unterwegs.

„Wir konnten mit dieser Fortbildung viele Impulse geben für zukünftige Schulfahrten“, äußert Susanne Wycisk, vom Schulministerium NRW abgeordnete Mitarbeiterin des IBB Dortmund, nach ihrer Rückkehr zufrieden. Die 22 Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren zum ersten Mal in Ostpolen und achteten besonders auf Anknüpfungspunkte für künftige Fahrten mit Schülern und Jugendlichen. Was können Jugendliche an den bereisten Orten erfahren und erarbeiten? Wie ist der Zeitbedarf für Wege? Und schließlich: Wie sollte eine gründliche Vorbereitung aussehen?

Der Ablauf der Fortbildung kam als Beispiel für eine Schul-Gedenkstättenfahrt gut an.  Je nach Lerngruppe und Zeit muss das Programm jedoch individuell angepasst werden.  Erste Station nach der fünfstündigen Bahnfahrt von Berlin nach Warschau war das erst 2014 neu eröffnete Museum Polin. Mit einem interessant aufbereiteten Überblick über die wechselvolle Geschichte der jüdischen Kultur in Polen öffnet es auch einen Blick auf das EU-Nachbarland, der über die deutsche Besatzungszeit hinausreicht. Am Nachmittag erkundete die Reisegruppe dann wichtige Lernorte zur  deutschen Besatzungszeit: Das frühere Warschauer Ghetto mit dem Denkmal, vor dem Willy Brandt einst mit seinem historischen Kniefall den Wandel in der deutschen Ostpolitik einleitete. Und auch das Waisenhaus und den jüdischen Friedhof mit dem Denkmal des Arztes und Pädagogen Janusz Korczak, der die Kinder seines Waisenhauses beim Abtransport in das Vernichtungslager Treblinka 1942 begleitet hatte.

Noch am gleichen Abend stieg die Reisegruppe erneut in den Zug und erreichte zwei Stunden später Lublin. Für den Rundgang durch die weitläufige, heute 60 Hektar große Gedenkstätte Majdanek am folgenden Tag hatte sich Wieslaw Wysok, stellvertretender Direktor der Gedenkstätte, persönlich Zeit genommen. Er erläuterte das didaktische Konzept der Gedenkstätte als außerschulischer Lernort und präsentierte Workshops sowie Materialien, die Schulklassen bearbeiten können.

„Spätestens in der Gedenkstätte Majdanek wurde dann aber auch deutlich, dass diese Fortbildung auch interkulturelle Aspekte enthielt“, sagt Susanne Wycisk, bis 2016 selbst noch als Geschichtslehrerin im Schulbetrieb tätig. So machte Wieslaw Wysok deutlich, dass Majdanek in Polen nicht nur als Mordstätte für westeuropäische Juden verstanden wird. Auch andere Personengruppen wie zum Beispiel russische, weißrussische und polnische Kriegsgefangene sind ebenso wie Tausende von osteuropäischen Juden wenige Kilometer vor den Toren der Stadt Lublin ermordet worden.

Wie können Schülerinnen und Schüler an den verschiedenen Lernorten in Polen Ansatzpunkte für eine eigene Auseinandersetzung mit der Geschichte entdecken?

Unterschiedliche Auffassungen traten aber auch hinsichtlich der Aufbereitung und Präsentation von Lerninhalten zutage: Soll ein Gedenkort reines Faktenwissen vermitteln? Oder können Schülerinnen und Schüler an diesem Lernort zu einer aktiven, eigenen Erarbeitung von Lerninhalten angeregt werden? Aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachteten die Lehrkräfte aus mehreren deutschen Bundesländern vor diesem Hintergrund auch die angebotenen Materialien. Wird Geschichte tendenziell eher aus der Täterperspektive vermittelt? Können konkrete Einzelschicksale nachvollzogen werden? Kann man den Opfern ein Gesicht geben? Vor Ort schrieben sich die Lehrkräfte schließlich selbst einige „Hausaufgaben“ in ihr persönliches Aufgabenheft:  Angepasst an die Altersstruktur der Schülergruppen müssten die Inhalte der Arbeitsmappen doch gekürzt und mit Fragestellungen oder Aufgaben versehen werden. Schon bei der Vorbereitung einer Gedenkstättenfahrt müsse untersucht werden, ob es möglicherweise biografische Bezüge gibt vom Heimatort der Schülerinnen und Schüler  nach Majdanek oder Bełżec.

Bei einer Führung durch die Stadt Lublin am nächsten Tag staunte die Reisegruppe über Kunstgriffe, mit denen Renovierungsbedarf attraktiv versteckt wird und suchte Spuren jüdischen Lebens  zwischen dem prächtigen Grodzka-Tor und dem Lubliner Schloss. Vom früheren jüdischen Viertel ist  gar nichts mehr zu sehen. Während der deutschen Besatzungszeit wurde das ganze Viertel völlig dem Erdboden gleichgemacht. „Misstraut den Grünanlagen!“, lautete denn auch der Rat des sachkundigen Reiseleiters, den die Reisegruppe im Osten Polens gleich an mehreren historischen Orten nachvollziehen konnte.

Der letzte Tag vor der Rückreise war einem Besuch der Stadt Izbica gewidmet, während der Zeit des Nazi-Regimes das so genannte Drehkreuz des Todes. Danach ging es weiter zur heutigen Gedenkstätte Bełżec. An den Vernichtungsort Bełżec erinnert ein großflächiges begehbares Mahnmal, das die kaum vorstellbare Zahl ermordeter Menschen mit aufgetürmten Schlackebrocken auf den mehr als 30 Massengräbern symbolisiert. Der Besucher kann einen schmalen Gang beschreiten. „Auf diesem Weg zwischen die meterhohen Aschetürme, der dem Weg der Opfer in die Gaskammern nachempfunden ist, wird es einem selbst an einem warmen Maitag fröstelnd kalt. Und die hohen Wände lösen unweigerlich ein Gefühl der Beklemmung aus“, schilderte Susanne Wycisk.

In Zamość, dem Padua des Nordens, gefiel der Reisegruppe besonders die Altstadt, im 16. Jahrhundert im Stil der italienischen Renaissance errichtet und heute UNESCO-Weltkulturerbe. Doch auch in Zamość – wenige Kilometer entfernt von der Grenze zur Ukraine – hatten die deutschen Besatzer ein Ghetto eingerichtet, die jüdische Bevölkerung interniert und später tausende Menschen ermordet.

Die Gruppe in Zamosc.

Viel Lob gab es am Ende für die gute Organisation einer inspirierenden Reise, die auch für erfahrene Geschichtslehrerinnen und – lehrer viele neue Anregungen bereithielt. Eine zweite und letzte Fortbildung für Lehrkräfte und Multiplikatoren in der Jugendarbeit in diesem Jahr bietet die IBB gGmbH Dortmund vom 28. September bis 3. Oktober 2017 an. Dann geht es in die Gedenkstätte Auschwitz. Interessierte können sich zum jetzigen Zeitpunkt nur noch auf die Warteliste setzen lassen.

*Übrigens:  Der Aufruf „Misstraut den Grünanlagen“ stammt aus der Moses-Mendelssohn-Biografie von Heinz Knobloch (Schriftsteller 1926 – 2003)

Unser Foto oben zeigt ein kleines Pflänzchen, das im Mahnmal Belzec Wurzeln geschlagen hat. Alle Foto: Susanne Wycisk – IBB Dortmund

Weitere Informationen über die Förderung von Gedenkstättenfahrten finden Sie hier.