Gernot Erler, Koordinator für die zwischengesellschaftliche Zusammenarbeit mit Russland, Zentralasien und den Ländern der Östlichen Partnerschaft, bat in Minsk offiziell um Vergebung für die von Deutschen im Zweiten Weltkrieg begangenen Verbrechen. Erler sprach im Rahmen einer Gedenkreise, die das Internationale Bildungs- und Begegnungswerk Dortmund (IBB Dortmund) vom 1. bis 5. Mai 2015 in Minsk und Trostenez durchgeführt hatte.
„Der Vernichtungsort Trostenez steht stellvertretend für die deutschen Verbrechen in Belarus. Hier in Trostenez fielen während der deutschen Besatzungszeit Angehörige der belarussischen Zivilbevölkerung, Häftlinge, belarussische Partisanen und sowjetische Kriegsgefangene deutschen Kriegsverbrechen zum Opfer. Belarussische und auch westeuropäische Juden wurden hier Opfer des NS-Rassenwahns. Im Namen der Bundesregierung und auch persönlich für meine Person bitte ich um Vergebung für die von Deutschen in Belarus begangenen Verbrechen und ich verneige mich vor den Opfern“, sagte Gernot Erler am Montag, 4. Mai 2015, während seiner Ansprache in der Internationalen Bildungs- und Begegnungsstätte „Johannes Rau“ in Minsk.
An der Gedenkreise nahmen neben Matthias Platzeck, Ministerpräsident a.D., den Bundestagsabgeordneten Oliver Kaczmarek und René Röspel, dem NRW-Landtagsabgeordneten Werner Jostmeier, mehreren Nachkommen von Trostenez-Opfern aus Deutschland, Tschechien und Großbritannien rund 100 Vertreter von Kirchen und zivilgesellschaftlichen Organisationen teil.
Begegnung mit Zeitzeugen des Zweiten Weltkriegs
In Minsk traf die Delegation mit Zeitzeugen des Zweiten Weltkriegs, mit Vertretern der orthodoxen und katholischen Kirchen, der jüdischen Gemeinde Minsk und zivilgesellschaftlichen Initiativen zusammen. „Es hat uns sehr beeindruckt, mit wie viel Offenheit und Herzlichkeit wir in den drei Gemeinden empfangen wurden“, sagte Matthias C. Tümpel, Vorstandsvorsitzender des IBB Dortmund. Die Gruppe besuchte während der Gedenkreise die Katholische Kirche des Heiligen Simeon und der Heiligen Helene, die orthodoxe Gedächtniskirche „Aller Heiligen“ und das jüdische Zentrum Chessed Rachamim. Tadeusz Kondrusiewicz, Erzbischof von Minsk und Mogiljow, begrüßte die internationale Delegation am Sonntag, 3. Mai 2015, mit den Worten: „Wir haben uns hier als Europäer versammelt, Belarussen und Deutsche, um einander die Hand zu reichen für ein neues Europa und die Botschaft in die Welt zu senden: Nie wieder Krieg!“
Mahnende Erinnerung an Gräuel des Krieges und des Holocaust
Zuvor besuchte die internationale Gruppe die im Bau befindliche Gedenkstätte in Trostenez und hielt an der ehemaligen Vernichtungsstätte im Wald von Blagowschtschina eine Gedenkfeier ab. „Wir freuen uns, dass der Bau der Gedenkstätte in Trostenez so weit fortgeschritten ist und begrüßen es sehr, dass die Stadt Minsk die Vernichtungsstätte Blagowschtschina in das Gedenkstätten-Projekt aufgenommen hat“, sagte Matthias Platzeck im Anschluss an die Gedenkfeier. Auch Gernot Erler betonte unter den Schlagworten „Ohne Gedenkstätten keine Versöhnung“ die Bereitschaft der Bundesrepublik Deutschland, eine gemeinsame, integrierte Gedenkstätte zu fördern.
Dialog auf Augenhöhe als Beispiel für politische Kooperation
Das IBB Dortmund setzt sich seit Jahren für einen deutsch-belarussischen Dialog zum Vernichtungsort Trostenez ein. Ein Modellprojekt ist dabei die gemeinsame Entwicklung einer Wanderausstellung für Jugendliche durch deutsche und belarussische Historiker. „Heute erleben wir in Europa eine neue Konfrontation, in der historische Bilder und Begriffe missbraucht werden. Deshalb ist es ungemein wichtig, dass wir mit unseren belarussischen Partnern offen über die gemeinsame Geschichte sprechen. Ein solcher Dialog auf Augenhöhe, den zivilgesellschaftliche Initiativen und die Kirchen seit Jahren führen, schafft Vertrauen und kann ein Beispiel für die politische Kooperation sein“, betonte Peter Junge-Wentrup, IBB-Geschäftsführer, während der Gedenkreise.
Ruf nach einem deutsch-belarussischen Jugendwerk
Wie Versöhnung und Kooperation nachhaltig gelingen können, erfuhren die Teilnehmer der Gedenkreise von Stephan Erb, Geschäftsführer des Deutsch-Polnischen Jugendwerks (DPJW) und Rafal Borkowski, Leiter der Internationalen Jugendbegegnungsstätte Kreisau. „Die wegweisenden Erfahrungen aus der deutsch-polnischen Zusammenarbeit im Jugendbereich sollten wir unbedingt nutzen, um die Gründung eines deutsch-belarussischen Jugendwerks anzustoßen“, so Peter Junge-Wentrup.