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Internationales Bildungs- und Begegnungswerk in Dortmund

Studienreise: Vertreterinnen von NGO aus Belarus und der Ukraine informieren sich über Gewalt gegen Frauen in Berlin

Studienreise: Vertreterinnen von NGO aus Belarus und der Ukraine informieren sich über Gewalt gegen Frauen in Berlin

Wie werden Frauen in Deutschland vor sexualisierter Gewalt geschützt? Welche Unterstützung leisten Nichtregierungsorganisationen (NGO)? Diese Fragen standen im Mittelpunkt der Studienfahrt „Addressing sexual violence in times of crisis“ vom 11. bis 16. September 2023 nach Berlin, die das Internationale Bildungs- und Begegnungswerk gGmbH (IBB Dortmund) organisiert hatte. Acht Hilfsorganisationen und ihre Einrichtungen für Frauen, die Opfer von Gewalt geworden sind, lernten die Teilnehmerinnen aus Belarus und der Ukraine bei Besuchen vor Ort kennen. Und die zehn Besucherinnen entdeckten fast immer Faltblätter und Broschüren in ukrainischer oder russischer Sprache.

Die in Deutschland bekannte Kampagne „Nein heißt Nein“ kannten die Besucherinnen aus der Ukraine und Belarus bereits aus ihrer früheren Projektarbeit und Medienberichten. Im Juli 2016 hatte der Deutsche Bundestag das neue Sexualstrafrecht verabschiedet und damit einen Paradigmenwechsel in der Rechtsprechung eingeleitet: Fortan geht es in der juristischen Beurteilung nicht mehr um die Frage, ob Gewalt angedroht oder angewendet wurde. Vielmehr ist der Straftatbestand bereits erfüllt, wenn eine sexuelle Handlung gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person durchgeführt wurde.

Was dies für die Arbeit der Polizei bedeutet, erfuhren die Besucherinnen gleich am ersten Tag bei der Berliner Polizeidirektion. Vier Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Dezernats 13 Sexualisierte Gewalt erläuterten ausführlich, wie sich die Reform auf die polizeilichen Ermittlungen auswirkt. Zum einen sei die Sensibilität in der Gesellschaft für sexuelle Übergriffe gestiegen. Zum anderen stehe aber häufig Aussage gegen Aussage, wenn nicht gerade körperliche Gewalt sichtbare Spuren hinterlassen hat. Durch die Reform sei somit die Zahl der zu bearbeitenden Fälle erheblich gestiegen und entsprechend auch die Bearbeitungszeit bei Polizei und Justizbehörden.

Die Besucherinnen von der NGO „La Strada“ aus der Ukraine berichteten, dass es auch in der Ukraine in den vergangenen Jahren mehrere Reformen gegeben hat, die die Lage betroffener Opfer häuslicher und sexualisierter Gewalt verbessern: Täter werden konsequenter verfolgt. Sexuelle Selbstbestimmung wird – eine Annäherung an das EU-Recht – auch in der Ukraine bereits weit ernster genommen als dies noch vor einigen Jahren der Fall war. Die NGO leisten neben praktischer Unterstützung zunehmend auch Lobbyarbeit, die das Bewusstsein für das sexuelle Selbstbestimmungsrecht erhöht. Ganz anders die Situation in Belarus. Die NGO, die sich für Gendergerechtigkeit und den Schutz von Opfern häuslicher Gewalt eingesetzt hatten, wurden in den vergangenen Jahren verboten.

Für einen intensiven Erfahrungsaustausch öffnete die Opferhilfe e.V. Berlin ihre Türen. Unser Foto zeigt Vertreterinnen der NGO „La Strada“ aus der Ukraine im Gespräch mit Vertreterinnen der Opferhilfe e.V..

Welche Rolle die unterschiedlichen NGO in Berlin spielen bei der Begleitung von Opfern sexualisierter Gewalt erfuhren die Besucherinnen bei der NGO „Interkulturelle Initiative e.V.“, bei LARA e.V. und im Zentrum für Kriminalitätsopfer/ Opferhilfe e.V. Die NGO haben für unterschiedliche Bedarfssituationen und Zielgruppen Angebote im Portfolio, die ständig im Rahmen der Möglichkeiten weiterentwickelt werden. Das Frauenzentrum Paula Panke e.V. zum Beispiel ist ein Ort, der mit unterschiedlichen Kreativ- und Sprachkursen einen niederschwelligen Zugang ermöglicht und zusätzlich auch eine aktive Anti-Gewalt-Arbeit und anonyme Wohnungen für Opfer häuslicher Gewalt anbietet. Die Opferhilfe Berlin e.V. hat einen Koffer mit Materialien entwickelt, um einen Mini-Gerichtssaal aufzubauen. Kindern kann so der Ablauf eines Gerichtsverfahrens anschaulich vermittelt werden. Die Opferhilfe hat zudem mit Proaktiv eine Servicestelle für Betroffene von Straftaten geschaffen, die sich auf die schnelle Vermittlung von kostenlosen Beratungsangeboten spezialisiert hat. Dies erspart Betroffenen die sonst oft zermürbende Suche nach geeigneten Hilfsangeboten. Dieses Angebot will die Stadt Berlin aktuell ausbauen.

Am letzten Tag der Studienfahrt ging es bei der NGO Strohhalm e.V.“ und in der Beratungsstelle Wildwasser e.V. um Maßnahmen zur Prävention von sexuellen Übergriffen an Kindern und unter Kindern und die Betreuung und Begleitung von Betroffenen, die traumatisierende Erfahrungen gemacht haben. Strohhalm e.V. richtet sich dabei besonders an pädagogische Fachkräfte in Kindertageseinrichtungen und Grundschulen und organisiert Fortbildungen. Auf großes Interesse stieß besonders ein Handbuch zur sexuellen Bildung von Kindern in den fünften und sechsten Klassen.

Mit dem Verein XENION e.V. – Psychosoziale Hilfe für politisch Verfolgte e.V. – und der BAfF e.V., der bundesweiten Arbeitsgemeinschaft Psychosozialer Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer e.V., lernten die Besucherinnen auch die Arbeit für politisch verfolgte Zugewanderte kennen. XENION e.V. organisiert Therapien für Zugewanderte, die unterschiedliche Gewalterfahrungen in ihren Herkunftsländern, auf der Flucht oder nach ihrer Ankunft in Europa gemacht haben. Die bundesweite Arbeitsgemeinschaft BAfF vernetzt die Arbeit von 47 bundesweit tätigen Hilfeeinrichtungen für traumatisierte Zugewanderte und organisiert einen Erfahrungsaustausch über aktuelle Entwicklungen.

„Die Teilnehmerinnen waren am Ende sehr beeindruckt, dass sich alle Gesprächspartnerinnen trotz ihrer hohen Arbeitsbelastung viel Zeit genommen haben für den Austausch und auch mehr über die Arbeit der belarussischen und ukrainischen Besucherinnen erfahren wollten“, sagte Astrid Sahm, Geschäftsführerin der IBB gGmbH Dortmund, die die Gruppe begleitet hatte. „Sie haben viele Impulse für die Weiterentwicklung ihrer eigenen Arbeit erhalten und Kontakte geknüpft.“

Ein intensiver Austausch entwickelte sich auch jeweils über die Frage, wie sich die Mitarbeitenden in den Hilfsorganisationen vor psychischer Überlastung schützen. Diskutiert wurden Erfahrungen mit wechselseitigem Coaching, Auszeiten, professioneller Supervision, Retreats und Chatgruppen. Besonders die Teilnehmerinnen von „La Strada Ukraine“ können die neuen Kontakte zu den verschiedenen Hilfsorganisationen in Deutschland sofort praktisch nutzen. Denn über ihre Telefon-Hotline erhalten sie ständig Anfragen von Ukrainerinnen, die sich gerade in Deutschland befinden, und als Betroffene von sexualisierter Gewalt Hilfe suchen.

Die Studienfahrt „Addressing sexual violence in times of crisis“ wurde durch das Auswärtige Amt gefördert.

#civilsocietycooperation