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Internationales Bildungs- und Begegnungswerk in Dortmund

„Erinnern – inklusiv“: „Eine Sprache für alle an Gedenkstätten“ müsste viel leichter verständlich sein

„Erinnern – inklusiv“: „Eine Sprache für alle an Gedenkstätten“ müsste viel leichter verständlich sein

Kann es eine Sprache für alle geben an Gedenkstätten? Andrea Halbritter, Übersetzerin für Leichte Sprache, beantwortete die Frage im Online-Meeting im Rahmen des Projekts „Erinnern – inklusiv“ am 20. Juni 2023, mit „Nein“. Die Sprache an Lernorten der Geschichte müsse stärker als bisher auf bisher ausgeschlossene Zielgruppen eingehen. Die bisher übliche Fachsprache sei eher exklusiv.

Andrea Halbritter, studierte Romanistin und Dolmetscherin für Französisch, hat selbst eine enge Verbindung zur historisch-politischen Bildung. Einige ihrer Vorfahren waren in der NS-Zeit im Widerstand aktiv und in der Folge im Konzentrationslager Dachau inhaftiert. Durch den biografischen Bezug arbeitet sie aktuell an einem Buch über den Widerstand in Augsburg und beschäftigt sich mit historischen Dokumenten und ihrer Präsentation in Ausstellungen.

Leichter verständlich für viele Zielgruppen

Seit mehreren Jahren schon arbeitet sie auch als Übersetzerin für Leichte Sprache. Die stark vereinfachte Sprache ist nicht nur für Menschen mit geistigen Behinderungen und Lernschwierigkeiten besser verständlich. Sie kommt auch Menschen mit prälingualer Hörschädigung oder Demenzerkrankungen zugute. Zudem erleichtert sie auch Zugewanderten das Verständnis, die unter Umständen weniger geschichtliches Vorwissen mitbringen und die Fachsprache der Geschichtswissenschaften nicht oder nicht gut verstehen.

Andrea Halbritter gab zunächst eine Einführung in die Regeln der Leichten Sprache. Sie verzichtet bewusst auf lange verschachtelte Sätze. Nebensätze werden aufgelöst. Jeder Satz steht in einer Zeile. Wichtig gerade an Lernorten der Geschichte sei auch die gewählte Zeitform: So könne bei einer Übersetzung in die Gegenwartsform leicht der Eindruck entstehen, die Bedrohung durch die Nationalsozialisten dauere bis in die Gegenwart an. Dies könne Menschen mit geistiger Behinderung Angst machen. Bilder und Illustrationen in einer kontrastreichen Darstellung können das Verständnis erleichtern.

Langsam sprechen und Pausen einplanen

Zudem müsse die geringere Aufmerksamkeitsspanne dieser Zielgruppen berücksichtigt werden. Während Führungen häufig auf eine Dauer von 60 bis 90 Minuten angelegt seien, müssten sich Führungen in Leichter Sprache mit Rücksicht auf Menschen mit Lernschwierigkeiten oder geistigen Behinderungen eher auf 20 bis 25 Minuten Dauer beschränken. Guides sollten zudem langsam sprechen und auch Pausen zum Betrachten von Fotos oder Ausstellungsstücken einplanen.

Wandtexte, so lautete ein weiterer Tipp der Referentin, sollten zudem tief genug aufgehängt werden, so dass sie auch von Menschen im Rollstuhl genutzt werden können. In Augsburg gebe es bereits ein gutes Beispiel für eine Präsentation von Ausstellungsinhalten in verschiedenen Sprachniveaus: So seien Informationen in herkömmlicher Fachsprache und Leichter Sprache nebeneinander angebracht. Eine achtseitige Broschüre biete zudem die Inhalte in Leichter Sprache zum Mitnehmen und Nachlesen. Für taube Besucher und Besucherinnen gebe es an einigen Lernorten der Geschichte bereits QR-Codes, die zu einer Erläuterung in deutscher Gebärdensprache führen.

Für Museumspädagoginnen und Museumspädagogen, die Ausstellungen erarbeiten oder überarbeiten, sei es eine Herausforderung, allen denkbaren Zielgruppen gerecht zu werden, schilderte Kordian Kuczma vom Museum Stutthof in der anschließenden Diskussion. Denn bislang gebe es zum Beispiel in Polen nur wenige Expertinnen und Experten, die die komplexen Themen der NS-Zeit in Leichte Sprache übersetzen können.

Texte in Leichter Sprache als Standardtexte?

Aus dem Kreis der Zuhörenden kam die Frage, ob nicht Begleittexte in Leichter Sprache als Standardtexte in Ausstellungen ausgewiesen werden könnten? Ergänzende und vertiefende Informationen könnten ja als Zusatzangebot in Fachsprache angeboten werden. Denn die Fachsprache in Gedenkstätten und Museen sei ja ohnehin nicht immer leicht zu verstehen.

„Auf dem Weg zu einer inklusiven Gesellschaft müssen wir in Zukunft sicher noch häufiger die Frage stellen, wie wirkliche Teilhabe garantiert werden kann und wie viel von den vermittelten Inhalten wirklich ankommt und hängenbleibt“, fasste Constanze Stoll, Projektreferentin der IBB gGmbH Dortmund, die Diskussion zusammen. Sie lud die Zuhörenden zum praxisorientierten Workshop für Leichte Sprache und zu den folgenden Online-Meetings ein.

Das deutsch-polnische Partnerschaftsprojekt „Erinnern-inklusiv“ organisiert die IBB gGmbH in Dortmund gemeinsam mit dem Museum Stutthof in Polen und dem Verein Schwarzenberg e.V. in Berlin. Das Projekt wird im Rahmen des EU-Programms „Bürger, Gleichberechtigung, Rechte und Werte“ gefördert.

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