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Internationales Bildungs- und Begegnungswerk in Dortmund

„Erinnern – inklusiv“: Künstlerinnen und Künstler lenken mit Interventionen neuen Blick auf die Geschichte

„Erinnern – inklusiv“: Künstlerinnen und Künstler lenken mit Interventionen neuen Blick auf die Geschichte

Wie sie mit künstlerischen Aktionen im öffentlichen Raum möglichst inklusiv alle Menschen erreichen wollen, berichteten das Künstler-Duo Various Gould und der Künstler Nando Nkrumah im Rahmen des Projekts „Erinnern – inklusiv“ im Online-Workshop am Mittwoch, 7. Juni 2023.

Various & Gould berichteten ausführlich über ihr Projekt #MonumentalShadows von August bis Oktober 2021 in Berlin. Dazu hatten sie die überlebensgroße Bismarck-Statue im Großen Tiergarten in Berlin eingerüstet und mit künstlerischen Mitteln regelrecht „vom Sockel“ geholt.

Blick auf das gut sechs Meter hohe, eingerüstete Bismarck-Denkmal im Großen Tiergarten in Berlin. Zuschauer beobachten die Arbeiten. Das Künstler-Duo Various & Gould ist oben rechts im Bild zu sehen.

Das eingerüstete Bismarck-Denkmal im Großen Tiergarten in Berlin. Das Künstler-Duo Various & Gould (oben rechts) erläutert das Projekt.

Bismarck-Denkmäler wurden nach 1868 zu Ehren des ersten deutschen Reichskanzlers Otto Fürst von Bismarck an vielen Orten in Deutschland errichtet. Sie würdigen das Wirken des früheren preußischen Ministerpräsidenten – übergehen aber meist das wenig rühmliche Kapitel der deutschen Kolonialpolitik. Auf diese „Schatten“ der Geschichte wollte die Kunstaktion den Blick der Öffentlichkeit richten. Die etwa sechs Meter hohe Bismarck-Statue wurde zu diesem Zweck eingerüstet. Die Künstler fertigten mit einer dem Pappmaché verwandten Technik einen netzartigen Abdruck. Dieser Papier-Abdruck wurde auf den Boden geholt, in Einzelteile zerlegt und mit Farben künstlerisch bearbeitet. In den sandigen Weg zum Denkmal im Tiergarten wurde die Botschaft gekratzt: „Das Zentrum von gestern, die Splitter von heute.“

Farbige Papierabformungen liegen auf der Wiese vor dem Bismarck-Denkmal. Fußgänger auf dem Weg verdeutlichen, wie groß die Papierstücke sind. In den Weg gekratzt ist die Botschaft zu lesen: Das Zentrum von gestern, die Splitter von heute. Foto: Screenshot

Die bunten Papierabformungen liegen auf der Wiese vor dem Denkmal. In den Weg gekratzt ist die Botschaft zu lesen: Das Zentrum von gestern, die Splitter von heute. Fotos: Screenshots der Online-Veranstaltung.

Ziel der Aktion war es, die Erinnerung an die von Bismark einberufene Kongo-Konferenz 1884/1885 und ihre Folgen ins öffentliche Bewusstsein zu holen. Bismarck hatte Repräsentanten vieler Nationen eingeladen, um für die Länder Afrikas völkerrechtliche Spielregeln aufzustellen, die afrikanischen Länder unter sich aufzuteilen. „Der Kolonialismus prägt bis heute bei vielen Menschen in Europa den Blick auf Afrika und wirkt bis heute nach“, so die Botschaft des Künstler-Duos. Die künstlerische Aktion sollte folglich das Bewusstsein auf diesen Teil der Geschichte lenken, diese Sichtweise „vom Sockel holen“, Geschichte berührbar machen und neue Perspektiven ermöglichen. Während die Künstlergruppe ihre Arbeit in luftiger Höhe aufnahm, standen unten Info-Tische bereit, um Passanten zu informieren und ihre Reaktionen aufzunehmen. Am Info-Tisch entwickelten sich lebhafte Diskussionen, die von begeisterter Zustimmung bis zu scharfer Kritik reichten. „Der Kern unseres Projektes war zu fragen: Wer wird in unserer Erinnerungskultur mitgedacht? Und wer wird ausgeschlossen?“, schilderte das Duo. Auf der Website, die dieses Projekt dokumentiert, stehen auch eine Erklärung in Leichter Sprache und mehrere Filme in Gebärdensprache zur Verfügung.

Nando Nkrumah (oben rechts) bei der Präsentation seiner künstlerischen Intervention.

Nando Nkrumah (oben rechts) bei der Präsentation seiner künstlerischen Intervention.

Der Maler- und Interventionskünstler Nando Nkrumah stellte seine aktuelle Arbeit am Schloss Charlottenburg vor. Das dortige Reiterdenkmal würdigt das Wirken des Kurfürsten Friedrich Wilhelm, der im Westfälischen Frieden von 1648 den Grundstein für den Aufstieg Brandenburgs zur Großmacht legte. Weniger im öffentlichen Bewusstsein ist sein Einfluss auf die Kolonialgeschichte. Dabei ist das Reiterdenkmal vor dem Schloss Charlottenburg eingerahmt von vier Podesten, die im Kreis um das Denkmal angeordnet sind und Menschen in Ketten zeigen. Die selbstgestellte Aufgabe für den Künstler: Einen neuen Erinnerungsort schaffen, der einen neuen Blick auf das Altbekannte lenkt und das Denkmal zum Mahnmal macht. Nando Nkrumah erinnert nunmehr an die gewaltsame Verschleppung von mehr als 20.000 Menschen aus Afrika, die als Sklaven verkauft wurden.

Screenshot aus der Online-Konferenz: Künstler Nando Nkrumah zeigt die Adinkra-Symbole aus Ghana und die Menschen, die den Beiträgen Stimmen gegeben haben.

Die ghanaischen Adinkra-Symbole für Einheit, Wahrheit, Freiheit und Mut spielen eine wichtige Rolle in der künstlerischen Intervention. Foto: Screenshot

Die Kunstaktion „This is not only hi(s)story. This is our story“ erweitert das Denkmal, das bisher die Zeit des Kolonialismus aus dem Blick der Akteure verklärte, um die Perspektive der Betroffenen: Vier gerüstartige Stelen zeigen die ghanaischen Adinkrasymbole für Einheit, Wahrheit, Mut und Freiheit. Zudem führt jeweils ein QR-Code zu einer Micro-Website, die den Kontext des Denkmals ergänzt: „Wir wollten so eine neue Ausstellung schaffen, die multimedial und inklusiv zugänglich ist, nämlich visuell, taktil und auditiv.“

Eine lebhafte Diskussion entwickelte sich über die Frage, inwieweit künstlerische Interventionen wie diese Beispiele auf die unterschiedlichen Bedarfe von Menschen mit Behinderungen eingehen.

Eine Gebärdensprachdolmetscherin auf der Website des Künstler-Duos Various & Gould. Foto: Screenshot aus der Online-Konferenz

Das Künstler-Duo Various & Gould präsentiert seine Kunstaktion auf der Website auch in Leichter Sprache und in deutscher Gebärdensprache. Foto: Screenshot aus der Konferenz

Various & Gould bieten ihre Informationen bereits in Leichter Sprache und Gebärdensprache an, betonten aber auch: „Wir sind keine Expertinnen und Experten für Inklusion.“ Und auch Nando Nkrumah schilderte, dass Strukturen geschaffen werden müssten, um Betroffene mit besonderen Bedarfen einzubinden. Für eine bedarfsgerechte Ergänzung vorhandener Angebote der Erinnerungskultur müssten auch finanzielle Mittel zur Verfügung stehen, so das Plädoyer der Referentinnen und Referenten.

IBB-Referentin Constanze Stoll und Annika Hirsekorn vom Projektpartner Schwarzenberg e.V., die den Workshop moderiert hatten, unterstrichen, dass Inklusion nicht nur die besonderen Bedürfnisse von Menschen mit Bewegungseinschränkungen berücksichtigen sollte, sondern auch weitere Zielgruppen. Hirsekorn: „Inklusion ist ein Prozess, für den noch viele neue Ideen entwickelt werden müssen.“

 

Das deutsch-polnische Partnerschaftsprojekt „Erinnern-inklusiv“ organisiert die IBB gGmbH in Dortmund gemeinsam mit dem Museum Stutthof in Polen und dem Verein Schwarzenberg e.V. in Berlin. Das Projekt wird im Rahmen des EU-Programms „Bürger, Gleichberechtigung, Rechte und Werte“ gefördert.

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Alle Beiträge über das Projekt „Erinnern-inklusiv“ finden Sie hier.