
Zur gemeinsamen Erinnerung an die Auflösung des Minsker Ghettos vor 80 Jahren begrüßte Sergei Andrushkevich, belarussischer Direktor, am 23. Oktober 2023 rund 70 Gäste aus Belarus und Deutschland in der Internationalen Bildungs- und Begegnungsstätte „Johannes Rau“ in Minsk.
Vor Überlebenden und ihren Angehörigen sowie Vertretern der christlichen Kirchen und der jüdischen Verbände und Gemeinden in Belarus würdigte Matthias Platzeck (l.), Vorsitzender des IBB-Kuratoriums, die Möglichkeit eines gemeinsamen Gedenkens in Minsk.
Dies sei leider nicht mehr selbstverständlich. Dabei sei es wichtig, aus der Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg und den Holocaust die richtigen Lehren für die Zukunft zu ziehen:
„Frieden ist nicht alles. Aber ohne Frieden ist alles nichts“,
zitierte er den früheren deutschen Bundeskanzler Willy Brandt, der in den 1970er Jahren des vorigen Jahrhunderts eine neue Phase der deutschen Ostpolitik eingeleitet hatte. Yana Goldman-Adut, Erste Sekretärin der Botschaft des Staates Israel in der Republik Belarus, begann ihr Grußwort mit einer Schweigeminute zum Gedenken an die unschuldigen Opfer des Holocaust, in die sie auch die Opfer des jüngsten Terroranschlags der Hamas einschloss. „Es gehört zu unserem Erbe und darf nicht in Vergessenheit geraten, was in deutschem Namen in Belarus geschehen ist“, hob der Ständige Vertreter der Deutschen Botschaft, Michael Nowak, in seinem Grußwort hervor.
Im Anschluss moderierte Sergei Tukalo (l.), Leiter der Geschichtswerkstatt „Leonid Lewin“ in Minsk, ein Online-Gespräch mit Victoria Trejster, der Tochter des ehemaligen Ghetto-Häftlings Michail Trejster. Victoria Trejster präsentierte digitalisierte Dokumente ihres Vaters, deren Originale sie freundlicherweise für die zukünftige Ausstellung der Geschichtswerkstatt zur Verfügung gestellt hat. Architektin Galina Lewina sprach über die Erinnerungs- und Gedenkkultur in Belarus und zeigte dabei auch eine Reihe von Postern aus ihrer in Entstehung befindlichen Ausstellung zum Schaffen ihres Vaters, des Architekten und langjährigen Vorsitzenden des Verbands der jüdischen Organisationen und Gemeinden Leonid Lewin. Zum Abschluss der Veranstaltung zeigte der Verband, der zusammen mit der IBB Minsk und der Geschichtswerkstatt als Veranstalter auftrat, eine Videopräsentation über aktuelle Aktivitäten der jüdischen Gemeinden in Belarus und ihre Pläne für die Zukunft. Anschließend nutzten die Teilnehmenden bei einem Stehempfang der deutschen Botschaft die Gelegenheit zu regen Gesprächen und aktivem Austausch.
Die gemeinsame Gedenkstunde in der IBB „Johannes Rau“ Minsk war einer der Höhepunkte einer Gedenkreise nach Minsk, an der neben Mitgliedern des IBB-Kuratoriums und IBB-Vorstands auch Vertreterinnen und Vertreter der Evangelischen Kirche von Westfalen, der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau sowie des Osteuropa-Hilfswerks der katholischen Kirche Renovabis aus Deutschland teilnahmen. Die Delegation hatte zuvor bereits an einer Gedenkstunde in der Erschießungsgrube „Jama“, heute ein Gedenkort in der Innenstadt von Minsk, teilgenommen. Hier hatten deutsche Besatzer unzählige Jüdinnen und Juden, die aus vielen Ländern Europas im Ghetto zusammengepfercht worden waren, erschossen. Im Namen der Kirchen und der IBB wurden Kränze am Gedenkobelisk niedergelegt. Ebenso besuchte die Delegation den ehemaligen jüdischen Friedhof sowie die Gedenkorte auf dem Gelände des ehemaligen Vernichtungslagers Malyj Trostenez.

Beim Abendgebet im Zentrum der Religious Union for Progressive Judaism schloss Rabbi Grisha Abramovich per Videoübertragung auch Teilnehmende aus allen Regionen von Belarus und mit Eyal Ronder auch den Vize-Präsidenten der World Union for Progressive Judaism ein.
Bei einem Besuch im Zentrum der Religious Union for Progressive Judaism nahm die Delegation aus Deutschland auf Einladung von Rabbi Grisha Abramovich an einem gemeinsamen Abendgebet für Israel teil. Gemeindemitglieder aus allen Regionen von Belarus hatten sich zugeschaltet. Eyal Ronder, Vize-Präsident der World Union for Progressive Judaism, beteiligte sich von seinem aktuellen Aufenthaltsort in Jerusalem und schilderte, dass er kurz zuvor noch in einem Schutzraum gesessen hatte.
In Gesprächen mit Vertretern der Orthodoxen Kirche zeigte sich ebenfalls das wechselseitige Interesse am Fortbestand der Beziehungen zwischen den Kirchen. „Wir sind dankbar für Ihren Besuch und wünschen uns, dass auch in diesen herausfordernden Zeiten der Kontakt nicht abreißt“, sagte Dr. Sviatoslav Rogalsky, Direktor des St. Kyrill und Method-Instituts.
Die an der Reise beteiligten Organisationen engagieren sich seit langem für Versöhnungs- und Erinnerungsarbeit mit Belarus und wollen auch unter den veränderten geopolitischen Bedingungen die gewachsenen Kontakte und partnerschaftlichen Beziehungen auf gesellschaftlicher Ebene aufrechterhalten. „Aus über drei Jahrzehnten gemeinsamer Arbeit wissen wir, wie wichtig menschliche Begegnungen sind, um konstruktiv auch in Konflikten miteinander umzugehen und so der Entstehung und Verfestigung von Feindbildern entgegenzuwirken“, betont Katharina von Bremen, stellvertretende IBB-Vorsitzende.
„Als IBB werden wir daher weiter nach Wegen suchen, Grenzen zu überwinden.“
- Die Gedenkstunde am Obelisken in der Jama.
- Viele Menschen stehen Schlange mit Blumen.
- Vertreter der Delegation aus Deutschland legen …
- …Blumen und Kränze nieder.
- Galina Lewina gewährt einen Blick auf die Ausstellung, die das Werk ihres Vaters würdigen wird.
- Warmherzige Begegnung im St. Kyrill und Method -Institut.
Über das Minsker Ghetto:
Das Minsker Ghetto war das größte Ghetto auf ehemals sowjetischem Boden. Am 19. Juli 1941 hatte die deutsche Besatzung in Minsk den Befehl zur Errichtung des Ghettos erteilt. Einen Tag später begann die Zwangsumsiedlung. Mehr als 100.000 Menschen jüdischen Glaubens wurden unter Androhung roher Gewalt in das abgeriegelte Viertel der Stadt gezwungen, unter unmenschlichen Bedingungen gefangen gehalten, ausgehungert und in mehreren Pogromen getötet. Zunächst waren es rund 100.000 Jüdinnen und Juden aus Minsk und Umgebung. Später kamen Deportierte aus vielen westeuropäischen Städten hinzu. Immer wieder gab es Pogrome und Massenerschießungen, zuletzt bei der Auflösung des Ghettos am 21. und am 23. Oktober 1943.

Auch bei einem Besuch des Vernichtungsortes Malyj Trostenez legte die Delegation aus Deutschland Blumen nieder.
Weitere Berichte über diese Gedenkreise finden Sie auf diesen Websites:
Evangelische Kirche von Westfalen,
sowie auf der Website des Christlichen Bildungszentrums der Heiligen Method und Kyrill,
Alle Fotos auf dieser Seite: Dr. Astrid Sahm und Geschichtswerkstatt „Leonid Lewin“ Minsk