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Internationales Bildungs- und Begegnungswerk in Dortmund

Neue Gedenkstätte wird zentraler Lernort europäischer Erinnerungsarbeit

Neue Gedenkstätte wird zentraler Lernort europäischer Erinnerungsarbeit

„Wir wollen den Erinnerungsort Malyj Trostenez als neuen europäischen Lernort etablieren und zum Ziel von Gedenkstättenfahrten und Jugendbegegnungen machen“, sagt Dr. Astrid Sahm, Geschäftsführerin des Internationalen Bildungs- und Begegnungswerk in Dortmund (IBB Dortmund) anlässlich der Eröffnung der Gedenkstätte Trostenez im Wald von Blagowschtschina am heutigen Freitag, 29. Juni 2018. „Das IBB Dortmund fördert als Zentralstelle außerschulische Gedenkstättenfahrten und konzipiert vielfältige Bildungsangebote zu diesem bisher in Westeuropa immer noch wenig bekannten, größten Vernichtungsort in Belarus.“


Dieses 3D-Panorama vermittelt auf Google Maps einen Eindruck vom zweiten Bauabschnitt der Gedenkstätte Trostenez im Wald von Blagowschtschina. Durch das Foto navigieren Sie am Desktop-PC mit dem Cursor, am Smartphone mit den Fingern. Foto: IBB „Johannes Rau“ Minsk / IBB Dortmund.

Das IBB Dortmund hatte 2013 eine Initiative für eine Gedenkstätte im Wald von Blagowschtschina ins Leben gerufen. Mit der Unterstützung von Kirchen, Kommunen, Landesregierungen, Privatleuten, der Bethe-Stiftung, dem Volksbund Deutsche Kriegsgräber­fürsorge e.V. und dem Auswärtigen Amt stand am Ende ein Beitrag von deutscher Seite in Höhe von einer Million Euro zur Verfügung. Die neue Gedenkstätte erinnert an mindestens 50.000 Opfer – vor allem belarussische, österreichische, deutsche und tschechische Juden, Zivilisten, Partisanen, Widerstandskämpfer und sowjetische Kriegsgefangene –, die am Ort der größten Massenvernichtungsstätte in der deutsch besetzten Sowjetunion ermordet worden waren.

Parallel zur Gestaltung des Gedenkorts hat das IBB Dortmund gemeinsam mit der Internationalen Bildungs- und Begegnungsstätte „Johannes Rau“ Minsk die Bildungsarbeit zum Vernichtungsort Malyj Trostenez weiterentwickelt. Die deutsch-belarussische Wanderausstellung „Vernichtungsort Malyj Trostenez. Geschichte und Erinnerung“, die in Kooperation mit der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas entstanden ist, wird seit 2016 in Deutschland, Belarus der Schweiz und Tschechien gezeigt. In 2017 haben über 100 junge Belarussen bei einem Oral-History-Wettbewerb wichtige Zeitzeugenberichte dokumentiert. Und bereits zur Eröffnung des zweiten Bauabschnitts am 29. Juni 2018 ist die neue Gedenklandschaft Trostenez Ziel von fünf Studienreisen, die über das IBB Dortmund bzw. mit seiner Unterstützung durchgeführt werden.

Die Initiative für die Einbeziehung des Waldes von Blagowschtschina in die Gedenklandschaft Trostenez war in der Geschichtswerkstatt „Leonid Lewin“ Minsk entstanden. 2003 eröffnet, ist die Geschichtswerkstatt heute ein anerkanntes Bildungs- und Forschungszentrum für den Holocaust und andere NS-Verbrechen in Belarus. Erst vor wenigen Tagen hat die Geschichtswerkstatt eine didaktische Materialsammlung zum Ghetto Minsk veröffentlicht, deren Zulassung für den Schulunterricht in Belarus zurzeit geprüft wird. Dr. Sahm: „Die neue Gedenklandschaft schafft einen Anlass und einen Raum für neue grenzüberschreitende Verständigungsprozesse. Sie wird daher eine zentrale Rolle in der weiteren IBB-Arbeit spielen.“

Über den Vernichtungsort Trostenez:

Trostenez war der größte Vernichtungsort in Belarus während der deutschen Besatzungszeit von 1941 bis 1944. Zwischen 50.000 und 206.500 Menschen wurden dort getötet, verscharrt, später exhumiert und verbrannt. 1941 und 1942 wurden mehr als 22.000 Juden aus Berlin, Bonn, Bremen, Düsseldorf, Frankfurt, Köln und Hamburg, sowie aus Theresienstadt und Wien nach Minsk und Trostenez deportiert. Die Namen wurden in Listen verzeichnet. In Minsk angekommen, wurden die Deportierten mit wenigen Ausnahmen jedoch sofort getötet. Ausführliche Informationen zum Stand der historischen Forschung enthält die Dokumentation „Der Vernichtungsort Trostenez in der europäischen Erinnerung“ sowie der Katalog zur Wanderausstellung „Vernichtungsort Malyj Trostenez. Geschichte und Erinnerung“.

 

Über die Geschichtswerkstatt Minsk:

Die Geschichtswerkstatt „Leonid Lewin“ Minsk ist ein zentrales belarussisch-deutsches Projekt zur Verständigung und Versöhnung. Sie wurde 2003 durch das Internationale Bildungs- und Begegnungswerk in Dortmund (IBB Dortmund) und die Internationale Bildungs- und Begegnungsstätte „Johannes Rau“ Minsk (IBB Minsk) gemeinsam mit dem Verband der jüdischen Gemeinden und Organisationen in Belarus eröffnet. Die Geschichtswerkstatt befindet sich im letzten erhaltenen Gebäude des ehemaligen Ghettos Minsk. Hier treffen sich Überlebende des Minsker Ghettos, ehemalige KZ-Häftlinge und Zwangsarbeiter zum Dialog mit Historikern und Jugendlichen. Zudem werden hier bisher weitgehend unerforschte Aspekte des Zweiten Weltkriegs aufgearbeitet sowie zahlreiche Ausstellungen, Konferenzen und Seminare durchgeführt. Durch ihre inzwischen fünfzehnjährige Arbeit hat die Geschichtswerkstatt einen wichtigen Beitrag dazu geleistet, dass der Holocaust kein Tabu-Thema mehr in Belarus ist und die Stigmatisierung der „nicht-heroischen“ Opfergruppen in der belarussischen Öffentlichkeit zurückgegangen ist.

 

Über IBB Dortmund und IBB Minsk:

Grenzen überwinden – das ist der Leitgedanke des Internationalen Bildungs- und Begegnungswerks in Dortmund seit seiner Gründung 1986. Dabei geht es nicht nur um Ländergrenzen, sondern auch um die Grenzen im eigenen Wissen und Verstehen. In jährlich mehr als 100 Studienfahrten, Trainings und Jugendbegegnungen ist das „Lernen aus der Geschichte für eine gemeinsame Zukunft in Europa“ zentral. Seit Ende 2015 ist das IBB Dortmund anerkannte Zentralstelle des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend für Gedenkstättenfahrten.

In Minsk baute das IBB Dortmund zusammen mit belarussischen Partnern Anfang der 1990er Jahre die Internationale Bildungs- und Begegnungsstätte auf, an der auch die Geschichtswerkstatt „Leonid Lewin“ Minsk angesiedelt ist. Die IBB „Johannes Rau“ Minsk ist in den fast 25 Jahren ihres Bestehens eine wichtige internationale Dialogplattform in den belarussisch-deutschen Beziehungen sowie für zivilgesellschaftliche und staatliche Akteure in Belarus geworden.

Hintergrund-Informationen finden Sie auf der IBB-Website „Gedenkstätte Trostenez“ und auf der IBB-Website „Der Weg zu einer europäischen Gedenkstätte Trostenez“.

Das Foto oben zeigt die stilisierte Waggons des Mahnmals „Der Weg des Todes“, das der 2014 verstorbene Künstler und Architekt Leonid Lewin entworten hatte. Foto: IBB Dortmund – Galina Lewina